Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
abgeschlossen. Glühende Benfica-Fans und glühende Sporting-Fans erwarteten aus Anselmos Mund den Schiedsspruch. Abends suchte Anselmo zu Hause dann in seinen sorgfältig geführten Statistiken und seinen kostbaren Zeitungsausschnitten nach der gewünschten Information, und am nächsten Tag verkündete er, während er die Brille aufsetzte, wie von einer Kanzel herab das umstrittene Datum oder Ergebnis. Der bewundernswerte Cousin trug zu Anselmos Ansehen ebenso viel bei wie seine Fachkompetenz, seine Bedächtigkeit, seine mustergültige Pünktlichkeit. Hätte dieser Cousin tatsächlich existiert, dann hätte Anselmo ihn, obwohl er seine Gefühle so unter Kontrolle hatte, fest umarmt, denn dank seiner Hilfe (wie alle glaubten) konnte er dem Geschäftsführer detaillierte Angaben über das 2 . Spiel Portugal – Spanien liefern, von der Zuschauerzahl bis zur Aufstellung der Mannschaften, den Farben der jeweiligen Trikots und den Namen des Schiedsrichters und der Linienrichter. Dank dieser Informationen hatte er schließlich die Unterschrift für seinen Zahlschein bekommen und konnte folglich die drei Hundert-Escudo-Scheine, die der Haushaltskasse bis zum Monatsende fehlten, in die Jackentasche stecken.
Während er jetzt zwischen Frau und Tochter saß, beide mit Näharbeiten an der Wäsche beschäftigt, und seine Pläne auf dem Esstisch ausgebreitet hatte, genoss er seinen Triumph. Als er in seinen Aufzeichnungen hinsichtlich des im 3 . Spiel Portugal – Italien aufgestellten Ersatzspielers eine Lücke feststellte, beschloss er sofort, am nächsten Tag an eine Sportzeitung zu schreiben, die einen Leserservice unterhielt, um seine Daten zu vervollständigen.
Leider konnte er nicht vergessen, dass ihm die dreihundert Escudos vom Gehalt dieses Monats abgezogen würden, und das gab seiner Freude über den Erfolg einen bitteren Beigeschmack. Im besten Fall konnte er auf die Genehmigung hoffen, den Schuldenbetrag in kleineren Raten zu tilgen. Das Dumme war, dass jeder Abzug von seinem Gehalt, und war er noch so klein, das Gefüge seiner Haushaltskasse durcheinanderbrachte.
Während Anselmo solche Gedanken wälzte, kam aus dem Radio das klagende, tieftraurige Schluchzen des herzzerreißendsten Fado, den eine portugiesische Kehle je gesungen hatte. Anselmo war nicht sentimental, das wussten alle, doch diese Klagen rührten ihn bis ins Innerste. Diese Rührung hatte viel mit seiner eigenen Situation zu tun, der schrecklichen Aussicht auf den Gehaltsabzug am Monatsende. Rosália hatte im Nähen innegehalten und unterdrückte einen Seufzer. Maria Claudia sang, anscheinend ruhig, leise die Worte der unglücklichen Liebe mit, die aus dem Lautsprecher plärrten.
Was auf das letzte »O weh!« der Sängerin folgte, war die Atmosphäre einer griechischen Tragödie oder – besser und aktueller – die Spannung wie in den Filmen einer bestimmten amerikanischen Schule. Noch so ein Fado, und aus den drei gesunden Menschen würden drei Neurotiker. Zum Glück endete die Sendung. Kurze Nachrichten aus dem Ausland, die Übersicht über das Radioprogramm des nächsten Tages – dann stellte Rosália den Ton etwas lauter, um die zwölf Schläge zur Mitternacht zu hören.
Anselmo steckte die Brille ein, strich sich zweimal über die Glatze und erklärte, während er seine Papiere in den Geschirrschrank legte:
»Es ist Mitternacht. Zeit, ins Bett zu gehen. Morgen ist ein Arbeitstag.«
Auf diese Worte hin standen alle auf. Das schmeichelte Anselmo, er sah in diesen kleinen Dingen die hervorragenden Ergebnisse seiner Methode häuslicher Erziehung. Er hielt sich zugute, eine Familie zu haben, die als vorbildlich gelten konnte.
Maria Claudia drückte den Eltern schmatzende Küsse auf beide Wangen und ging in ihr Zimmer. Anselmo verschwand im Flur, in der Hand die Zeitung, um noch kurz im Bett darin zu lesen, bevor er das Licht ausschaltete. Rosália blieb noch, sie räumte ihr Nähzeug und das ihrer Tochter weg. Dann rückte sie die Stühle rings um den Tisch zurecht, befasste sich kurz mit dem einen und anderen Gegenstand, und als sie sicher war, dass alles seine Ordnung hatte, folgte sie ihrem Mann.
Als sie das Schlafzimmer betrat, sah ihr Mann über seine Brille hinweg zu ihr hin und las dann weiter. Wie alle portugiesischen Männer bevorzugte er bestimmte Fußballvereine, doch konnte er sämtliche Spielberichte lesen, ohne sich zu erregen. Ihn interessierten nur die statistischen Werte. Ob die Mannschaften gut oder schlecht
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