Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
wollen wir doch mal sehen! Wie alt schätzen Sie mich denn?«
»So um die fünfundvierzig vielleicht …«
»Oh! Oh!« Paulino lachte laut, und wenn er lachte, wackelte sein Bauch.
»Fünfzig? …«
»Sechsundfünfzig. Ich könnte sogar Ihr Großvater sein.«
»Sie haben sich aber sehr gut gehalten!«
Das war ehrlich und aufrichtig gemeint, und Paulino nahm es zur Kenntnis. Lídia stand auf. Sie ging zu ihrem Liebhaber und versuchte, die Unterhaltung auf das Thema zu lenken, weshalb Maria Claudia gekommen war.
»Vergiss nicht, dass Claudia deine Entscheidung mehr interessiert als dein Alter. Es ist schon spät, sie will sicherlich bald schlafen gehen, und außerdem …«, sie stockte, lächelte Paulino vielsagend an und schloss leise mit den bedeutungsvollen Worten: »… außerdem muss ich dich unter vier Augen sprechen …«
Maria Claudia gab sich geschlagen. Auf diesem Terrain konnte sie nicht mithalten. Sie begriff, dass sie ein Eindringling war, dass beide – Lídia jedenfalls – sie am liebsten von hinten sehen wollten, und ihr war nach Weinen zumute.
»Ach ja, richtig …« Paulino dachte scheinbar zum ersten Mal daran, dass er eine Position zu verteidigen, sich als Respektsperson zu behaupten hatte und dass die Leichtigkeit der Unterhaltung dem abträglich war. »Sie suchen also eine Stelle?«
»Ich arbeite schon, Senhor Morais. Aber meine Eltern finden, dass ich zu wenig verdiene, und Dona Lídia war so freundlich, sich für mich einzusetzen …«
»Was können Sie?«
»Maschine schreiben.«
»Nur das? Stenographie können Sie nicht?«
»Nein, Senhor Morais.«
»Nur Maschine schreiben können ist heutzutage zu wenig. Wie viel verdienen Sie?«
»Fünfhundert Escudos.«
»Hm … Stenographie können Sie also nicht?«
»Nein, Senhor …«
Maria Claudias Stimme wurde immer leiser. Lídia lächelte. Paulino überlegte. Ein ungemütliches Schweigen.
»Aber ich kann es lernen …«, sagte Claudia.
»Hm …«
Paulino zog am Zigarillo und sah das Mädchen an. Lídia griff ein.
»Hör zu, mein Lieber, mir ist daran gelegen, aber wenn du meinst, dass es nicht geht … Claudia ist intelligent genug, das zu verstehen …«
Maria Claudia hatte nicht mehr die Kraft, zu reagieren. Sie wollte nur noch weg, und zwar so schnell wie möglich. Sie machte Anstalten, aufzustehen.
»Bleiben Sie«, sagte Paulino. »Ich werde Ihnen eine Chance geben. Meine Stenotypistin heiratet in drei Monaten und gibt dann ihre Stelle auf. Sie können bei mir anfangen. In diesen ersten drei Monaten zahle ich Ihnen dasselbe, was Sie jetzt verdienen, und Sie lernen Stenographie. Dann sehen wir weiter. Wenn ich mit Ihnen zufrieden bin, verspreche ich Ihnen schon jetzt, dass Ihr Gehalt einen ordentlichen Sprung machen wird … Sind Sie damit einverstanden?«
»O ja, Senhor Morais! Und vielen Dank!« Maria Claudias Gesicht strahlte wie ein Frühlingsmorgen.
»Meinen Sie nicht, Sie sollten zuerst mit Ihren Eltern sprechen?«
»Ach, das ist nicht nötig, Senhor Morais! Die sind bestimmt einverstanden …«
Sie sagte dies in so überzeugtem Ton, dass Paulino sie neugierig ansah. Im selben Augenblick bemerkte Lídia:
»Aber wenn du nach Ablauf dieser drei Monate nicht zufrieden bist oder sie nicht gut genug Stenographie kann? … Dann musst du sie entlassen?!«
Maria Claudia sah Paulino beunruhigt an.
»Tja, also, so weit wird es ja wohl nicht kommen …«
»Aber dann nützt sie dir nichts …«
»Ich werde es lernen, Senhor Morais«, warf Maria Claudia ein. »Und ich hoffe, dass Sie mit mir zufrieden sein werden …«
»Das hoffe ich auch«, sagte Paulino lächelnd.
»Wann soll ich anfangen?«
»Ach ja … Je früher, desto besser. Wann können Sie Ihre Stelle aufgeben?«
»Wenn Sie möchten, sofort.«
Paulino dachte ein paar Sekunden nach, dann sagte er:
»Heute haben wir den Sechsundzwanzigsten … also am Ersten, geht das?«
»Ja, Senhor.«
»Sehr schön. Aber, warten Sie … Am Ersten bin ich nicht in Lissabon. Egal. Ich gebe Ihnen ein Kärtchen, mit dem Sie sich beim Büroleiter melden können, hoffentlich vergesse ich nicht, ihm vorher Bescheid zu geben. Was nicht sehr wahrscheinlich ist, trotzdem …«
Er nahm eine Visitenkarte aus der Brieftasche. Suchte nach der Brille, fand sie aber nicht.
»Wo habe ich die Brille gelassen?«
»Im Schlafzimmer«, antwortete Lídia.
»Sei so gut und hol sie mir …«
Lídia verließ den Raum. Paulino saß mit der Brieftasche in der Hand da
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