Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
solle sie bitte entschuldigen.
Die beiden Männer blieben allein.
»Ich habe mich noch nicht für das Abendessen bedankt«, sagte Abel.
»Ich bitte Sie. Das ist doch nicht der Rede wert.«
»Doch, für mich ist es das.«
»Sagen Sie das nicht. So ein Arme-Leute-Essen …«
»Zu dem Sie einen noch Ärmeren eingeladen haben … Lustig! Das ist das erste Mal, dass ich mich selbst als arm bezeichne. Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«
Silvestre antwortete nicht. Abel streifte die Asche von der Zigarette ab und sprach weiter.
»Aber das war nicht der Grund, weshalb ich gesagt habe, dass es für mich wichtig ist. Sondern weil ich mich noch nie so wohl gefühlt habe wie heute. Wenn ich irgendwann weggehe, werde ich mich bestimmt hierher zurücksehnen.«
»Aber warum sollten Sie denn weggehen?«
Mit einem Lächeln antwortete Abel:
»Denken Sie daran, was ich Ihnen neulich gesagt habe … Sobald ich das Gefühl habe, festgehalten zu werden, schneide ich die Tentakel durch …« Nach kurzem Schweigen, das Silvestre nicht unterbrach, fügte er hinzu: »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für undankbar …«
»Nein, das tue ich nicht. Wenn ich nicht wüsste, wer Sie sind, wenn ich nichts über Ihr Leben wüsste, dann würde ich das natürlich denken.«
Abel neigte sich vor, er konnte seine Neugier nicht unterdrücken.
»Wie ist es möglich, dass Sie so verständnisvoll sind?«
Silvestre blickte auf und blinzelte, weil das Licht ihn blendete.
»In einem Beruf wie meinem ist das nicht üblich, das wollen Sie doch damit sagen, oder?«
»Ja … vielleicht …«
»Und dabei bin ich schon immer Schuster gewesen … Sie sind Aufseher, und Sie sind gebildet. Bei Ihnen würde auch niemand denken …«
»Aber ich …«
»Sprechen Sie ruhig weiter. Aber Sie sind zur Schule gegangen, nicht wahr?«
»In der Tat.«
»Ich war auch in der Schule. Der Hauptschule. Danach habe ich ein paar Sachen gelesen, mehr gelernt …«
Als verlangte der Schuh seine ganze Aufmerksamkeit, verstummte der Schuster und senkte den Kopf tiefer. Das Licht fiel auf seinen mächtigen Nacken und die muskulösen Schulterblätter.
»Ich störe Sie bei Ihrer Arbeit«, sagte Abel.
»Nein. Das hier könnte ich auch mit geschlossenen Augen machen.«
Er legte den Schuh weg, nahm drei Garnfäden und begann sie einzuwachsen. Das machte er mit weit ausholenden, rhythmischen Bewegungen. Nach und nach nahm das weiße Garn eine lebhaft gelbe Farbe an.
»Dass ich es mit offenen Augen mache, ist nur eine Frage der Gewohnheit«, fuhr er fort. »Und außerdem würde es länger dauern, wenn ich es mit geschlossenen Augen machte.«
»Abgesehen davon, dass es dann nicht perfekt wäre«, fügte Abel hinzu.
»Richtig. Was beweist, dass wir die Augen selbst dann offen halten müssen, wenn wir sie schließen könnten …«
»Was Sie da gerade gesagt haben, klingt wie ein Rätsel.«
»So rätselhaft ist das gar nicht. Mit so viel Erfahrung in diesem Handwerk könnte ich doch wirklich mit geschlossenen Augen arbeiten, oder etwa nicht?«
»In gewisser Hinsicht ja. Nur haben Sie doch selbst zugegeben, dass ihre Arbeit dann nicht perfekt wäre.«
»Deshalb halte ich die Augen offen. Aber es stimmt doch auch, dass ich in meinem Alter die Augen schließen könnte, oder?«
»Sterben?«
Silvestre, der nach der Ahle gegriffen hatte und Löcher in die Sohle stach, um mit dem Nähen zu beginnen, hielt inne.
»Sterben?! Wieso das denn! Damit habe ich keine Eile.«
»Was dann?«
»Die Augen schließen heißt lediglich nicht sehen.«
»Aber was nicht sehen?«
Der Schuster breitete die Arme aus, als wollte er all das umfassen, woran er dachte.
»Das hier … das Leben … die Menschen …«
»Ich gestehe, dass ich nicht recht begreife, worauf Sie hinauswollen.«
»Das können Sie auch nicht. Sie wissen nicht …«
»Sie machen mich neugierig. Ich versuche mal zu sortieren. Sie haben gesagt, wir müssten die Augen auch dann offenhalten, wenn wir sie schließen könnten, richtig? Dann haben Sie gesagt, dass Sie Ihre Augen offen halten, um das Leben zu sehen, die Menschen …«
»Genau.«
»Also gut. Wir alle haben die Augen offen und sehen die Menschen, das Leben … Und das unabhängig davon, ob wir sechs oder sechzig sind …«
»Es kommt darauf an, wie man sieht.«
»Ah! Jetzt kommen wir der Sache schon näher! Sie bewahren sich die offenen Augen für eine bestimmte Sicht auf die Dinge. Ist es das, was Sie damit sagen wollen?«
»Genau
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