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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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und sah zerstreut Maria Claudia an. Diese hob den Blick und richtete ihn auf Paulino. Etwas stand in seinen Augen, das sie verstand. Keiner von beiden wandte den Blick ab. Maria Claudia schlug das Herz bis zum Hals, ihr Busen wogte. Paulino merkte, dass seine Rückenmuskeln sich langsam entspannten. Im Flur waren Lídias Schritte zu hören, sie kam zurück.
    Als sie das Wohnzimmer betrat, suchte Paulino konzentriert in seiner Brieftasche, und Maria Claudia blickte auf den Teppich.

21
    A bel lag auf dem Bett, unter den Schuhen eine Zeitung, damit die Bettdecke nicht schmutzig wurde, und rauchte genüsslich eine Zigarette. Er hatte eine gute Mahlzeit hinter sich. Mariana konnte kochen. Sie war eine ausgezeichnete Hausfrau. Das merkte man auch an der Einrichtung der Wohnung, an den kleinsten Details. Sein Zimmer war der Beweis. Die Möbel waren ärmlich, aber sauber und besaßen eine gewisse Würde. So wie Haustiere – Hund und Katze zumindest – das Temperament und den Charakter ihrer Besitzer spiegeln, so verraten ganz fraglos auch Möbel und selbst unbedeutende Einrichtungsgegenstände etwas über ihre Eigentümer. Sie strahlen Kälte oder Wärme, Herzlichkeit oder Reserviertheit aus. Sie sind Zeugen und berichten ständig wortlos davon, was sie erlebt haben oder wissen. Die Schwierigkeit liegt darin, den passenden Moment, die Stunde größter Vertrautheit, das günstigste Licht zu erwischen, um zu erfahren, was sie zu berichten haben.
    Während er den aufsteigenden Rauchkringeln nachblickte, lauschte Abel den Geschichten, die ihm die Kommode und der Tisch, die Stühle und der Spiegel erzählten. Und desgleichen die Vorhänge vor dem Fenster. Es waren keine Geschichten mit Anfang, Mitte und Schluss, sondern ein sanftes Dahinfließen von Bildern, die Sprache der Formen und Farben, die den Eindruck von Ruhe und Heiterkeit vermitteln.
    Ganz fraglos hatte Abels beglückter Magen einen wesentlichen Anteil an diesem Gefühl von Erfüllung. Er hatte schon seit Monaten auf einfache Hausmannskost verzichten müssen, auf diesen speziellen Geschmack von Gerichten, die von einer in sich ruhenden Hausfrau zubereitet wurden. Er aß in den Tavernen das fade Tellergericht oder frittierte Stöcker, die für ein paar Escudos den wenig Begüterten die Illusion geben, Nahrung zu sich zu nehmen. Vielleicht hatte Mariana das geahnt. Anders ließ sich die Einladung nicht erklären, denn sie kannten sich ja erst seit wenigen Tagen. Oder Silvestre und Mariana waren anders. Anders als alle Menschen, die er bislang kennengelernt hatte. Offener, einfacher, menschlicher. Was war es, das der Armut seiner Wirtsleute diesen Klang von reinem Metall verlieh? (Aufgrund einer eigentümlichen Gedankenassoziation empfand Abel die Atmosphäre in der Wohnung so.) »Glück? Das allein wohl kaum. Glück hat etwas mit der Natur der Schnecke gemeinsam, die sich zurückzieht, wenn man sie berührt.« Aber wenn es nicht Glück war, was war es dann? »Vielleicht Verständnis … doch Verständnis ist nur ein Wort. Niemand kann einen anderen verstehen, wenn er nicht der andere ist. Und niemand kann zugleich ein anderer als er selbst sein.«
    Von seiner Zigarette stieg noch immer Rauch auf. »Könnte es in der Natur mancher Menschen liegen, dass sie etwas ausstrahlen, was das Leben verändert? Irgendetwas … Das kann alles sein oder fast nichts. Wissen, was es ist, darum geht es. Dann stellen wir uns also die Frage: Was ist es?«
    Abel überlegte, dachte wieder und wieder nach, aber am Ende stand er doch nur vor dieser Frage. Es war wie eine Sackgasse. »Was für Menschen sind das? Welche Fähigkeit ist das? Worin besteht das Verändern? Sind diese Begriffe nicht vielleicht viel zu weit weg von dem, was sie ausdrücken wollen? Dass man zwangsläufig Wörter benutzen muss, erschwert dies nicht, eine Antwort zu finden? Und wie soll man sie dann finden?«
    Während Abel grübelte, brannte die Zigarette hinunter bis zu den Fingern, die sie hielten. Vorsichtig, damit der lange Aschestiel, zu dem die Zigarette geworden war, nicht herunterfiel, legte er sie in den Aschenbecher. Er wollte seinen Gedanken wieder aufnehmen, da klopfte es zweimal leicht an die Tür. Er erhob sich.
    »Herein.«
    Mariana erschien mit einem Hemd in der Hand.
    »Entschuldigen Sie die Störung, Senhor Abel, aber ich weiß nicht, ob dieses Hemd noch zu retten ist …«
    Abel griff nach dem Hemd, betrachtete es und fragte lächelnd:
    »Was meinen Sie, Senhora Mariana?«
    Sie lächelte

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