Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Klangsträngen eines endlosen Fadens. Erschöpft schlief Isaura schließlich ein. Adriana nicht. Sie lag wach, bis sich das bläuliche Licht der Nacht im Fenster in das graue Licht der Morgenfrühe verwandelte und schrittweise dem hellen Tageslicht wich. Regungslos, mit pochenden Schläfen, den Blick fest an die Decke gerichtet, wehrte sie eisern das Erwachen ihres Hungers nach Liebe ab, ihres ebenfalls unterdrückten, ebenfalls verborgenen und unerfüllten Hungers.
20
A n diesem Tag aß Anselmos Familie früher zu Abend. Maria Claudia musste sich noch zurechtmachen, bevor man sie Paulino Morais vorstellte, und es war nicht ratsam, eine Person warten zu lassen, deren Wohlwollen man gewinnen wollte. Mutter und Tochter aßen schnell und verschwanden anschließend im Schlafzimmer. Im Zusammenhang mit Claudias Vorstellung mussten ganz verschiedene Probleme gelöst werden, und das schwierigste war die Wahl des Kleides. Kein anderes passte besser zu ihrer Schönheit und ihrer Jugend als das gelbe, ärmellose Kleid aus leichtem Stoff. Der weite Rock mit tiefen Falten, der an einen umgekehrten Blütenkelch erinnerte, wenn sie sich drehte, fiel von der Taille abwärts wie eine träge Welle. Rosálias Wahl fiel auf dieses Kleid. Doch Claudias gesunder Menschenverstand und Geschmack sprachen dagegen. Dieses Kleid wäre in den warmen Sommermonaten passend, aber nicht im noch regnerischen Frühling. Außerdem konnte dem Senhor Morais missfallen, dass es keine Ärmel hatte. Rosália stimmte ihr zu, machte ihr aber keinen weiteren Vorschlag. Sie hatte dieses Kleid ausgesucht, und nur dieses, andere hatte sie gar nicht erst in Betracht gezogen.
Die Wahl war offenbar schwierig, doch Claudia entschied sich. Sie wollte das graugrüne Kleid anziehen, das war dezent und für die Jahreszeit passend. Ein Wollkleid mit langen Ärmeln, am Handgelenk gleichfarbige Knöpfe. Der kleine Ausschnitt entblößte kaum den Hals. Etwas Besseres konnte man sich für eine künftige Angestellte nicht wünschen. Rosália gefiel die Idee nicht, doch als ihre Tochter das Kleid anzog, gab sie ihr recht.
Maria Claudia hatte immer recht. Sie betrachtete sich im hohen Spiegel des Kleiderschranks und fand sich schön. Das gelbe Kleid machte sie jünger, jetzt wollte sie aber älter aussehen. Keine Rüschen, keine nackten Arme. Das Kleid, das sie angezogen hatte, passte perfekt, es saß wie angegossen und folgte jeder ihrer Bewegungen. Es besaß keinen Gürtel, aber der Schnitt betonte ihre natürliche Taille, und Maria Claudia hatte eine so schmale Taille, dass ein Gürtel nur geschadet hätte. Während Maria Claudia sich im Spiegel betrachtete, wurde ihr klar, woran sie sich in Zukunft bei der Wahl ihrer Kleidung orientieren musste. Nichts Überflüssiges, das ihre Formen verdeckte. Und in diesem Augenblick, als sie sich vor dem Spiegel drehte, dachte sie, dass ihr ein Kleid aus Lamé-Stoff gut stehen würde, diesem Stoff, der sich wie eine zweite Haut an den Körper schmiegt.
»Was meinst du, Mama?«, fragte sie.
Rosália fehlten die Worte. Sie ging um ihre Tochter herum wie eine Kammerzofe, die den Künstler für die Apotheose vorbereitet. Maria Claudia setzte sich, holte aus der Handtasche Lippenstift und Rouge und begann sich zu schminken. Das Haar blieb für den Schluss, so einfach, wie es zu kämmen war. Sie übertrieb es nicht mit dem Make-up, machte es sogar dezenter als sonst. Sie vertraute darauf, dass ihre Nervosität ihr eine gute Farbe verleihen würde, und die Nervosität machte es nicht schlecht. Als sie fertig war, stellte sie sich vor ihre Mutter und fragte wieder:
»Was meinst du?«
»Du siehst wunderschön aus, mein Kind.«
Claudia lächelte dem Spiegel zu, ein letzter prüfender Blick, und erklärte, sie sei bereit. Rosália rief nach ihrem Mann. Anselmo erschien. Er hatte sich die edle Rolle eines Vaters zurechtgelegt, der weiß, dass sich das Schicksal seiner Tochter entscheiden wird, und wirkte gerührt.
»Gefalle ich dir, Papa?«
»Du siehst bezaubernd aus, mein Kind.«
Anselmo hatte festgestellt, dass in bedeutenden Situationen »mein Kind« die beste Anrede war. Sie vermittelte Seriosität und suggerierte väterliche Zuneigung, Vaterstolz, vom Anstand kaum gezügelt.
»Ich bin so nervös«, sagte Claudia.
»Ruhe ist wichtig«, riet ihr Vater und strich sich mit fester Hand den gestutzten Schnurrbart. Die Ruhe dieser festen Hand konnte nichts erschüttern.
Als die Tochter an ihm vorbeiging, rückte Anselmo ihr die
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