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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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das habe ich gesagt.«
    »Und welche Sicht ist das?«
    Silvestre antwortete nicht. Jetzt dehnte er die Garnfäden. Seine Armmuskeln spannten sich.
    »Ich halte Sie auf«, sagte Abel. »Wenn wir weiterreden, sind Sie mit Ihrer Arbeit morgen noch nicht fertig …«
    »Und wenn wir es nicht tun, grübeln Sie die ganze Nacht.«
    »Das stimmt.«
    »Sie platzen wohl vor Neugier, hm? So wie ich neulich. Nach zwölf Jahren im Leben unterwegs haben Sie einen Paradiesvogel entdeckt. Einen Schuster-Philosophen! Fast so, als hätten Sie das große Los gewonnen …«
    Abel hatte das Gefühl, Silvestre mache sich über ihn lustig, aber er überspielte sein Missfallen und antwortete in leicht säuerlichem Ton:
    »Natürlich möchte ich es gern wissen, aber ich habe noch nie jemanden gezwungen, etwas zu sagen, was er nicht sagen will. Nicht einmal die Menschen, zu denen ich Vertrauen hatte …«
    »Das ist wohl auf mich gemünzt. Die Botschaft ist angekommen.«
    Der Ton seiner Worte war so scherzhaft und spöttisch, dass Abel sich beherrschen musste, um nicht missgelaunt zu antworten. Also schwieg er lieber. Innerlich spürte er, dass er auf Silvestre nicht böse war, dass er, selbst wenn er es wollte, sich mit ihm nicht würde überwerfen können.
    »Sind Sie verärgert?«, fragte der Schuster.
    »N… nein …«
    »Dieses Nein bedeutet ja. Von Ihnen habe ich gelernt, alles zu hören, was man zu mir sagt, und darauf zu achten, wie es gesagt wird.«
    »Finden Sie nicht, dass ich recht habe?«
    »Doch. Sie haben recht, aber keine Geduld.«
    »Keine Geduld? Ich habe doch gerade gesagt, dass ich niemanden zum Sprechen zwinge!«
    »Aber wenn Sie es könnten?
    »Dann … Dann würde ich Sie zwingen. So, jetzt haben Sie mich! Zufrieden?«
    Silvestre lachte laut.
    »Zwölf Jahre Lebenserfahrung haben Sie noch nicht gelehrt, sich zu beherrschen.«
    »Die haben mich anderes gelehrt.«
    »Die haben Sie gelehrt, misstrauisch zu sein.«
    »Wie können Sie das sagen? Habe ich Ihnen etwa nicht vertraut?«
    »Doch. Aber was Sie gesagt haben, hätten Sie auch zu jedem anderen Menschen sagen können. Sie hätten nur das Bedürfnis haben müssen, sich auszusprechen.«
    »Das stimmt. Aber bedenken Sie, dass Sie es waren, bei dem ich mich ausgesprochen habe.«
    »Dafür danke ich Ihnen … Das meine ich jetzt ernst. Ich danke Ihnen wirklich.«
    »Sie brauchen mir nicht zu danken.«
    Silvestre legte Schuh und Ahle weg und schob den Arbeitstisch etwas zur Seite. Dann drehte er die Lampe so, dass er Abels Gesicht sehen konnte.
    »Oh! Da ist aber einer richtig böse …«
    Abels Gesicht verfinsterte sich noch mehr. Er war versucht, aufzustehen und zu gehen.
    »Hören Sie«, sagte Silvestre. »Stimmt es wirklich, dass Sie allen Leuten gegenüber misstrauisch sind? Sie sind also ein … ein … mir fällt das richtige Wort nicht ein.«
    »Ein Skeptiker?«
    »Richtig, ein Skeptiker.«
    »Vielleicht. Ich habe so viele Reinfälle erlebt, dass es überraschen würde, wenn ich es nicht wäre. Aber was bringt Sie dazu, mich für einen Skeptiker zu halten?«
    »Alles, was Sie mir erzählt haben, spricht dafür.«
    »Aber irgendwann ist Ihnen das nahegegangen.«
    »Das hat nichts zu sagen. Genauso gehen mir die großen Katastrophen nahe, über die gelegentlich in der Zeitung berichtet wird …«
    »Sie weichen aus. Warum bin ich ein Skeptiker?«
    »Das sind alle jungen Männer Ihres Alters. Zumindest in der heutigen Zeit …«
    »Und welche jungen Männer kennen Sie, die so ein Leben wie ich gehabt haben?«
    »Keinen außer Ihnen. Und was Sie erlebt haben, hat Ihnen nicht viel genützt. Sie wollen das Leben kennenlernen, haben Sie gesagt. Wozu? Für Ihren persönlichen Gebrauch, zu Ihrem Vorteil, zu sonst nichts!«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Das habe ich erraten. Ich habe einen kleinen Finger, der kann alles erraten …«
    »Machen Sie wieder Scherze?«
    »Schon gut … Erinnern Sie sich, dass Sie von Tentakeln gesprochen haben, die uns festhalten?«
    »Darauf habe ich mich ja bezogen …«
    »Eben, und das genau ist der Punkt. Die ständige Sorge, festgehalten zu werden …«
    Abel unterbrach ihn. Seine Miene zeigte keinerlei Missstimmung mehr. Jetzt war er interessiert, fast aufgeregt.
    »Ja, und? Sie wollen, dass ich eine feste Anstellung annehme und da mein Leben verbringe? Mich von einer Frau festhalten lasse? Ein Leben führe wie alle anderen auch?«
    »Ich will es nicht, hätte aber auch nichts dagegen. Wenn es für Sie eine Rolle spielt, was

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