Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
ich will, dann möchte ich, dass Ihre Sorge, Sie könnten in ein Gefängnis geraten, Sie nicht zum Gefangenen Ihrer selbst, Ihrer Skepsis macht …«
Abel lächelte bitter.
»Und ich glaubte, dass ich ein beispielhaftes Leben führe!«
»Das tun Sie, sofern Sie daraus lernen, was ich aus meinem gelernt habe …«
»Und das wäre? Darf man das erfahren?«
Silvestre öffnete das Tabakpäckchen, nahm ein Blättchen heraus und drehte sich gemächlich eine Zigarette. Nach dem ersten Zug antwortete er:
»Eine bestimmte Sicht auf die Dinge …«
»Damit sind wir wieder am Anfang. Sie wissen, was Sie sagen wollen. Ich weiß es nicht. Folglich ist ein Gespräch nicht möglich.«
»Doch. Wenn ich Ihnen sage, was ich weiß.«
»Na endlich! Es wäre besser gewesen, wenn Sie das gleich zu Anfang getan hätten.«
»Das glaube ich nicht. Zuerst musste ich Sie anhören.«
»Und jetzt höre ich Sie an. Und wehe Ihnen, wenn Sie mich nicht überzeugen!«
Er drohte mit dem Zeigefinger, doch seine Miene war freundschaftlich. Silvestre reagierte auf die Drohung mit einem Lächeln. Dann ließ er den Kopf nach hinten sinken und blickte an die Decke. Die Halssehnen sahen aus wie straff gespannte Schnüre. Der offene Hemdkragen gab den Blick frei auf den oberen Teil der Brust, dunkel von Härchen, zwischen denen kleine krause Silberfäden aufblitzten. Langsam, als kehrte er aus seinen schwer mit Erinnerungen beladenen Gedanken zurück, sah Silvestre Abel an. Dann begann er zu sprechen, mit tiefer Stimme, die bei manchen Wörtern bebte und bei anderen gleichsam schärfer und härter wurde.
»Hören Sie zu, mein Freund. Als ich sechzehn war, war ich schon das, was ich heute bin: Schuster. Zusammen mit vier Kollegen arbeitete ich in einer winzigen Kammer von früh bis spät. Im Winter tropfte das Wasser von den Wänden, im Sommer kam man um vor Hitze. Sie hatten recht, als sie sagten, dass in diesem Alter das Leben für mich offenbar nichts Wunderbares mehr war. Sie haben gehungert und gefroren, weil Sie es wollten, ich habe gehungert und gefroren, ohne es zu wollen. Das ist der Unterschied. Sie haben sich freiwillig für dieses Leben entschieden, daraus mache ich Ihnen keinen Vorwurf. Ob ich das Leben führen wollte, das ich hatte, danach hat niemand gefragt. Ich werde Ihnen auch nicht von meinen Kinderjahren erzählen, obwohl ich schon so alt bin, dass es mir Freude machen müsste, daran zurückzudenken. Aber es waren triste Jahre, die Ihnen jetzt nur die Laune verderben würden. Schlechte Kost, wenig anzuziehen, viel Prügel, damit ist alles gesagt. So viele Kinder leben auf diese Weise, dass es gar nichts Besonderes zu sein scheint …«
Abel hatte das Kinn auf die geschlossene Faust gestützt und verlor kein Wort. Seine dunklen Augen funkelten. Der feminin geschnittene Mund hatte härtere Züge angenommen. Sein ganzes Gesicht lauschte aufmerksam.
»Mit sechzehn sah mein Leben so aus«, fuhr Silvestre fort: »Ich arbeitete in Barreiro. Kennen Sie Barreiro? Ich bin schon seit Jahren nicht mehr dort gewesen, keine Ahnung, wie es da jetzt aussieht. Aber weiter. Wie gesagt, ich habe die Hauptschule besucht. Abends … Ich hatte einen Lehrer, der nahm gern die Handklatsche. Ich bekam sie ab, genau wie die anderen. Mein Wunsch, zu lernen, war groß, aber meine Müdigkeit war noch größer. Er wusste bestimmt, was ich tagsüber machte, ich kann mich erinnern, dass ich es ihm einmal erzählt habe, aber er hat mich nie verschont. Jetzt ist er unter der Erde. Möge er in Frieden ruhen … Damals lag die Monarchie in den letzten Zügen. Ich glaube, es war wirklich kurz vor dem Ende …«
»Sie sind natürlich Republikaner«, bemerkte Abel.
»Wenn Republikaner sein bedeutet, die Monarchie nicht zu mögen, dann bin ich Republikaner. Aber ich habe den Eindruck, dass Monarchie und Republik letztlich nur Worte sind. Heute jedenfalls … Damals war ich überzeugter Republikaner, und Republik war mehr als nur ein Wort. Dann kam die Republik. Ich hatte überhaupt nichts dazu beigetragen, aber ich habe vor Freude geweint, als hätte ich das alles vollbracht. Sie, der Sie in diesen harten, misstrauischen Zeiten leben, können sich nicht vorstellen, wie viel Hoffnung es damals gab. Wenn alle dasselbe empfunden haben wie ich, dann gab es damals in ganz Portugal keinen einzigen unglücklichen Menschen. Ich war ein Kind, ich weiß, ich fühlte und dachte wie ein Kind. Später wurde mir dann klar, dass man mich meiner Hoffnungen beraubte. Die
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