Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
weil Lídia nicht denken sollte, sie komme nur wegen des Geldes, erschien sie auch, ungefähr zwei Wochen nachdem sie es erhalten hatte, und erkundigte sich nach dem Befinden ihrer Tochter. Der erste Besuch war immer erträglicher, denn er hatte einen konkreten Zweck. Der zweite war trotz des demonstrativ persönlichen Interesses für Mutter wie Tochter lästig.
Lídia saß auf dem Sofa, ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien. Um der Mutter den Kaffee zu servieren, hatte sie ihre Lektüre unterbrochen und noch nicht wieder fortgesetzt. Ohne die geringste Spur von Freundlichkeit im Blick sah sie ihre Mutter an. Betrachtete sie kühl, als wäre sie eine Fremde. Die Mutter nahm den Blick nicht wahr, oder aber sie war schon so sehr daran gewöhnt, dass es ihr nichts ausmachte. Sie trank den Kaffee in kleinen Schlucken, in einer vornehmen Haltung, die sie in der Wohnung ihrer Tochter immer einnahm. Mit dem Löffel schabte sie den Zuckerrest vom Tassenboden, die einzige weniger vornehme Verhaltensweise, die sie sich dort gestattete und die sie mit ihrer Naschsucht rechtfertigte.
Lídia senkte den Blick auf das Buch, als wollte sie damit zu verstehen geben, ihre Fähigkeit, eine unangenehme Person zu betrachten, habe ihre Grenzen erreicht. Sie liebte ihre Mutter nicht. Sie fühlte sich ausgenutzt, doch nicht das war der Grund für ihre Ablehnung. Sie liebte die Mutter nicht, weil sie wusste, dass diese sie nicht als Tochter liebte. Mehrmals schon hatte sie daran gedacht, den Kontakt abzubrechen. Sie hatte es nicht getan, weil sie unangenehme Szenen fürchtete. Sie zahlte für ihre Ruhe einen Preis, den sie selbst zwar für hoch erachtete, der jedoch für das, was er ihr einbrachte, nicht übermäßig hoch war. Zweimal im Monat musste sie den Besuch der Mutter ertragen, und sie hatte sich daran gewöhnt. Fliegen sind auch lästig, und doch bleibt uns nichts anderes übrig, als uns an sie zu gewöhnen …
Die Mutter erhob sich und stellte die Tasse auf die Frisierkommode. Dann setzte sie sich wieder und griff nach ihrem Strickzeug. Das Garn war inzwischen schmuddelig, die Arbeit ging im Schneckentempo voran. So langsam, dass Lídia noch nicht hatte feststellen können, was es einmal werden sollte. Sie hatte sogar den Verdacht, dass die Mutter sich ihr Strickzeug nur vornahm, wenn sie zu ihr kam.
Nachdem sie einen Blick auf die Armbanduhr geworfen hatte, um sich auszurechnen, wie lange sie noch Gesellschaft haben würde, versuchte sie, sich in ihre Lektüre zu vertiefen. Sie hatte beschlossen, vor der Verabschiedung kein Wort mehr zu sagen. Sie war verärgert. Paulino war zu seiner alten Schweigsamkeit zurückgekehrt, obwohl sie sich die größte Mühe gab, ihm zu Gefallen zu sein. Sie küsste ihn hingebungsvoll, was sie nur tat, wenn sie es für nötig hielt. Dieselben Lippen können auf verschiedene Arten küssen, und Lídia kannte sie alle. Der leidenschaftliche Kuss, der Kuss, an dem nicht nur Lippen beteiligt sind, sondern auch Zunge und Zähne, war für besondere Gelegenheiten reserviert. In den letzten Tagen hatte sie ihn häufig eingesetzt, weil sie merkte, dass Paulino sich ihr entfremdete oder zumindest den Eindruck erweckte.
»Was ist los, Mädchen? Du siehst schon eine Ewigkeit auf dieselbe Seite und bist damit immer noch nicht fertig?«
Die Stimme der Mutter war so honigsüß und einschmeichelnd wie die eines Angestellten, der sich für das Weihnachtsgeld bedankt. Lídia zuckte die Achseln und antwortete nicht.
»Irgendetwas beschäftigt dich doch! Probleme mit Senhor Morais?«
Lídia blickte auf und fragte in ironischem Ton:
»Und was wäre, wenn?«
»Das wäre unklug. Männer sind sehr launisch, wegen der kleinsten Kleinigkeit sind sie verärgert. Man weiß nie, wie man sich verhalten soll …«
»Du hast ja offensichtlich viel Erfahrung …«
»Ich habe zweiundzwanzig Jahre mit deinem verstorbenen Vater zusammengelebt – reicht dir das nicht als Erfahrung?«
»Wenn du zweiundzwanzig Jahre mit Vater zusammengelebt, aber keinen anderen Mann gekannt hast, wie kannst du dann von Erfahrung sprechen?«
»Die Männer sind alle gleich, mein Kind. Hast du einen gekannt, kennst du alle.«
»Woher willst du das wissen? Wenn du nur einen gekannt hast?!«
»Man braucht nur die Augen offen zu halten.«
»Dann hast du gute Augen, Mutter.«
»Na ja … Ich will mich ja nicht brüsten, aber ich brauche einen Mann nur anzusehen, dann weiß ich, wie er ist!«
»Dann weißt du offensichtlich mehr als ich.
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