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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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den Kopf und vermied es, der Tante in die Augen zu sehen. Diese nahm ihre Verlegenheit wahr und glaubte, nun dem Rätsel auf der Spur zu sein. Unter dem Vorwand, sich nach den Zeiten für die Lektüre vor Ort erkundigen zu wollen, ging sie zur Bibliothek. Sie sah sich das Personal an. Den Weg hätte sie sich sparen können: Das Personal bestand aus zwei kahlköpfigen alten Männern und einer jungen Frau. Ihr Verdacht löste sich wie Rauch in Luft auf. Unter dem Eindruck, dass sich sämtliche Türen schlossen, wandte sie sich an ihre Schwester. Cândida tat, als verstünde sie nicht.
    »Kommst du schon wieder mit deiner fixen Idee!«
    »Ja, und ich bleibe auch dabei. Du nimmst deine Töchter nur in Schutz, das sehe ich doch. In ihrer Gegenwart bist du lieb und nett, aber mich täuschst du nicht. Ich höre dich nachts seufzen.«
    »Da denke ich an andere Sachen. Von früher …«
    »Darüber gibt es jetzt nichts mehr zu seufzen. Die Probleme, die du hast, die habe ich auch. Aber ich habe sie weggeschoben. Und du auch. Worüber du seufzt, hat mit der heutigen Zeit zu tun, mit den Mädchen …«
    »Ach was, du hast kranke Ideen! Wie oft haben wir uns schon gestritten? Haben wir uns nicht immer wieder versöhnt? Neulich erst …«
    »Das ist genau der Punkt. Wir streiten und versöhnen uns. Die beiden sind nicht zerstritten, nein, aber versuch nicht, mir einzureden, dass …«
    »Ich will dir überhaupt nichts einreden. Wenn es dir Spaß macht, diesen Unsinn weiterzutreiben, dann tu es. Du machst unser Leben kaputt. Alles war so schön …«
    »Es ist nicht meine Schuld, wenn es jetzt nicht mehr schön ist. Ich für mein Teil tue, was ich kann, damit es schön ist. Aber«, sie schnäuzte sich kräftig, um zu überspielen, wie bewegt sie war, »ich kann das mit den Mädchen nicht mit ansehen!«
    »Adriana ist guter Dinge! Erst gestern, als sie die Sache mit dem Chef erzählte, der über den Läufer gestolpert ist …«
    »Das war gespielt. Und was ist mit Isaura, ist die auch guter Dinge?«
    »Es gibt Tage, da …«
    »Ja, es gibt Tage! Und zwar nicht wenige! Ihr habt euch abgesprochen. Du weißt, was hier vor sich geht!
    »Ich?!«
    »Ja, du! Wenn du es nicht wüsstest, wärst du genauso besorgt wie ich.«
    »Du hast doch eben erst gesagt, dass ich nachts seufze …«
    »Jetzt habe ich dich erwischt!«
    »Du bist sehr schlau. Aber wenn du meinst, ich wüsste etwas, dann täuschst du dich. Außerdem ist es Blödsinn, was du dir in den Kopf gesetzt hast!«
    Amélia war empört. Blödsinn? Wenn die Bombe platzte, würde sich ja zeigen, wer Blödsinn im Kopf hatte. Sie veränderte ihre Taktik. Nun quälte sie die Nichten nicht mehr mit Fragen und Anspielungen. Sie tat, als interessierte es sie nicht mehr, als hätte sie es vergessen. Schon bald entspannte sich die Stimmung. Selbst Isaura lachte über die Übertreibungen ihrer Schwester, die ständig mit neuen Geschichten nach Hause kam. Doch Isauras Verhalten bestärkte Amélia noch darin, dass es ein Geheimnis gab. Der Druck durch Verdächtigungen und Nachstellungen hatte sich abschwächen müssen, damit sie sich unbeschwerter geben konnte. Offenbar wollte sie Amélia helfen, zu vergessen. Aber Amélia vergaß nicht. Sie hatte sich zurückgezogen, um besser Anlauf nehmen und weiter springen zu können.
    Sie gab sich nach wie vor gleichgültig, hielt zwar die Ohren offen, reagierte aber auf nichts, mochte es noch so merkwürdig klingen. Sie glaubte, Schritt für Schritt würde sie das Rätsel lösen. Sie begann, in der Vergangenheit nach allem zu forschen, was ihr weiterhelfen konnte. Versuchte sich daran zu erinnern, wann »es« angefangen hatte. Die Erinnerung war schon etwas verblasst, doch sie strengte sich an, und mit Hilfe des Kalenders fand sie es schließlich heraus. »Es« hatte in der Nacht angefangen, als sie ihre Nichten in ihrem Zimmer hatte sprechen und Isaura hatte weinen hören. Es war ein Albtraum, hatte Adriana gesagt. Adriana hatte es gesagt, folglich musste die Sache mit Isaura zu tun haben. Worüber mochten sie gesprochen haben? Sie wusste, dass die beiden einander alles erzählten, zumindest war es vorher so gewesen. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder hatte Isaura wegen etwas geweint, das Adriana ihr erzählt hatte, dann lag die Sache bei Adriana, oder sie hatte wegen etwas geweint, das sie selbst gesagt hatte, und damit ließe sich erklären, dass Adriana es überspielen wollte. Wenn aber das Problem bei Adriana lag, wieso hatte sie ruhig Blut

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