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Clarissa - Wo der Himmel brennt

Clarissa - Wo der Himmel brennt

Titel: Clarissa - Wo der Himmel brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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betrat. Als sie sein ernstes Gesicht sah, gefror ihr Lachen, und sie fragte ängstlich: »Was ist passiert, Paul?«
    Sherburne ließ sich auf einen Stuhl fallen, zog seine Mütze und seine Handschuhe aus und zog eine gefaltete Zeitung aus seiner Manteltasche. Die Wrangel News, erkannte sie selbst aus der Ferne. Er legte sie auf den Tisch, schlug sie auf und deutete auf einen Bericht. »Lesen Sie!«, forderte er sie auf.
    Sie ahnte, dass es sich nur um eine schlechte Nachricht handeln konnte, und näherte sich ihm zögernd. Widerwillig beugte sie sich über die Zeitung. »Toter Mann angeschwemmt« lautete die Überschrift. Sie erstarrte und musste sich mit beiden Händen am Tisch abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mit feuchten Augen las sie weiter: »Port Essington, 28. November 1898. Am frühen Morgen wurde die Leiche eines Mannes an Land getrieben. Obwohl die Leiche von Haien verunstaltet wurde und kaum noch als menschliches Wesen zu erkennen ist, geht man davon aus, dass es sich bei dem Toten um Alexander Carmack handelt. Dem Toten fehlten beide Stiefel. Der Fallensteller wohnte bis zum Frühjahr in einem Blockhaus in der Nähe der Küstenstadt und verschwand einen Tag nach seiner Hochzeit auf unerklärliche Weise. Auch von seiner Frau fehlt bisher jede Spur. Die Brandung in Port Essington ist äußerst tückisch und …«
    Clarissa wandte sich ab und begann zu zittern. »Alex!«, flüsterte sie, von Entsetzen gepackt. »Alex … Er ist tot!« Bevor der Mountie sie daran hindern konnte, öffnete sie die Tür und rannte aus dem Haus, in das stürmische Schneetreiben, das am frühen Nachmittag eingesetzt hatte, und stürzte auf dem Trail zu Boden. Sie übergab sich würgend und brach schluchzend zusammen. Zusammengerollt wie ein Husky, der sich gegen einen Blizzard schützt, lag sie auf dem Boden, spürte weder die Kälte noch den böigen Wind, nur von dem stechenden Schmerz, der tief in ihren Körper drang und ihr Seele erschütterte. »Alex!«, schluchzte sie immer wieder, rang jedes Mal verzweifelt nach Luft und krallte sich in den Schnee, als würde sie dort den Halt finden, den sie sonst nirgendwo mehr fand. »Alex! Alex! Warum nur?«
    Sie merkte nicht, wie Sherburne ihr folgte und sich über sie beugte, spürte nicht seinen festen Griff, als er sie unter den Armen packte und vom Boden hochzog. Willenlos ließ sie sich von ihm ins Haus tragen, nur die salzigen Tränen und den Namen ihres toten Mannes auf den Lippen. »Alex! Alex!«

34
    Tagelang sprach Clarissa kaum ein Wort. Sie verließ ihr Zimmer nur, um zu kochen und zu putzen, und zog sich gleich darauf wieder zurück. Weder beim Essen noch wenn sie einem der Mounties zufällig begegnete, sprach sie ein Wort. Auf die aufmunternden Worte der Männer reagierte sie kaum. Sie bewegte sich wie in einem Albtraum, verzweifelt und orientierungslos und unfähig, den peinigenden Gedanken zu entfliehen. In ihren Gedanken hatte sich das Bild der angeschwemmten Leiche festgesetzt, sobald sie die Augen schloss, sah sie, wie die Überreste von Alex wie Abfall an die Küste gespült wurden, und nicht einmal der stärkste Kaffee konnte diese Bilder vertreiben.
    Weihnachten wurde zu einem der traurigsten Feste, das sie jemals erlebt hatte, schlimmer noch als die einsamen Weihnachten nach dem Tod ihrer Eltern. Das warme Licht der Kerzen, die einer der Constables an der kleinen Fichte angebracht hatte, erreichte ihr Herz nicht. Noch bevor ihre Welt zusammengebrochen war, hatte sie aus Stoffresten, die sie im Gerätehaus gefunden hatte, eine Patchwork-Decke für die Polizisten genäht, und Sherburne überreichte ihr im Namen der Einheit ein Abzeichen, das sie zu einem inoffiziellen Mitglied der North West Mounted Police machte. Wie sich diese Ehre mit ihrem Haftbefehl vertrug, verriet er ihr allerdings nicht. Sie sangen ein paar Weihnachtslieder, dann entschuldigte sie sich und kehrte in ihr Zimmer zurück, warf sich aufs Bett und trommelte wütend mit beiden Fäusten auf die Matratze. Alex war tot, und die Hoffnung, bei dem Toten könnte es sich um einen anderen Mann handeln, war so vage, dass sie diese Möglichkeit gar nicht in Betracht zog. Alex war für immer aus ihrem Leben verschwunden, und in Skaguay lag sicher schon ein Brief von Mary Redfeather, in dem dasselbe stand. Wer sonst sollte ohne Stiefel angetrieben werden?
    Die Silvesternacht war klar und mondhell. Zum ersten Mal seit mehreren Wochen hingen kaum Wolken am Himmel, und sanftes Licht lag über

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