Clarissa - Wo der Himmel brennt
schon vor dem Frühjahr nach Dawson City. Wir brechen um sechs Uhr auf.«
Erst früh am nächsten Morgen, als Clarissa um kurz vor sechs in ihrer Winterkleidung vor die Blockhütte trat und Sherburne half, die Hunde anzuspannen, antwortete er auf ihre unausgesprochene Frage: »Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen in Dawson mache, Clarissa. Wenn ich Sie laufen lasse, und es kommt heraus, dass Sie mit einem Haftbefehl gesucht werden, riskiere ich meinen Posten. Aber ich würde es auch nicht übers Herz bringen, Ihnen Handschellen anzulegen und Sie einzusperren. Ich vertraue wohl darauf, dass mir unterwegs der rettende Gedanke kommt. Steele ist zu Ohren gekommen, die Canadian Pacific würde von einem massiven Bestechungsskandal erschüttert. Genaues weiß er auch nicht. Vielleicht haben wir Glück, und die Whittlers hängen da mit drin. Aber die Hoffnung ist, zugegeben, reichlich vage.«
Vielleicht haben wir Glück, hat er gesagt, fiel Clarissa auf. Nicht »Sie«, sondern »wir«, als wären sie beide auf dieses Glück angewiesen, und irgendwie stimmte es ja auch. Er hatte sich reichlich weit aus dem Fenster gelehnt.
»Wir werden sehen«, antwortete sie, ohne ihn anzublicken.
Nachdem sie sich von den Constables verabschiedet und ihren Proviant und Sherburnes Gepäck auf den Schlitten geladen hatten, fuhren sie los. Sherburne stand auf dem Trittbrett, sein Gewehr über den Schultern. Clarissa saß in mehrere Decken gehüllt auf der Ladefläche und freute sich über die schnelle Gangart, die Bunker und die anderen Huskys schon auf dem ersten Hang vorlegten. Sie hatte ihren Schal bis über die Nase gezogen und die Ohrenschützer ihrer Fellkappe heruntergeklappt, um gegen den eisigen Fahrtwind geschützt zu sein, der ihr besonders auf der Passhöhe ins Gesicht wehte.
Sherburne war ein erfahrener Musher, der genau wusste, wie er eine längere Fahrt angehen musste. Sie würden ungefähr eine Woche nach Dawson City brauchen, und es brachte wenig, wenn die Hunde sich schon am ersten Tag verausgabten. »Immer mit der Ruhe, Bunker!«, rief er seinem Leithund zu. »Diesmal haben wir einen weiten Weg vor uns. Es geht nach Dawson, mein Junge! Du wirst staunen, was für ein Trubel dort herrscht.«
Bunker schien ihn zu verstehen, drosselte das Tempo und schlug den Rhythmus ein, den man auf einer so langen Fahrt brauchte. Weil er sehr stämmig und kräftig war, wirkten seine Bewegungen nicht so elegant, wie Clarissa sie von Smoky oder Billy, ihrem früheren Leithund, in Erinnerung hatte, aber er bewies bei jedem Schritt seine Führungsqualitäten und brauchte sich nicht einmal umzudrehen, um den anderen Hunden zu zeigen, wie sie sich verhalten sollten. Sie waren ein gutes Team, liefen so gleichmäßig, dass der Schlitten kaum ins Stocken kam, und befolgten die Befehle des Mounties so schnell, dass sie kaum eines der Hindernisse streiften, die sich ihnen auf dem Trail in den Weg stellten. Besonders in der Senke, wo der Trail einige Meilen über ebenes Land führte, hatte Sherburne kaum etwas zu tun.
Das Wetter zeigte sich von seiner guten Seite. Es waren zwar wieder Wolken am Himmel aufgezogen, und die Sonne war nur an dem hellen Schimmer zu erkennen, der sich stellenweise zeigte, aber es war beinahe windstill und schneite nicht. Der Trail in der Senke war breit genug und hob sich deutlich vom verharschten Schnee der Umgebung ab. In der Stille klangen das Scharren der Kufen und das Knarren des Schlittens ungewöhnlich laut.
Hinter der Senke führte der Trail eine weitere Anhöhe hinauf und an einer steilen Felswand entlang, die sich wie die Mauer eines mittelalterlichen Schlosses aus dem Schnee erhob. Clarissa blickte staunend an dem grauen Stein empor und beobachtete eine Bergziege, die auf einem kaum sichtbaren Pfad an der Wand entlanglief und durch einen breiten Spalt, der von unten nur als schwarzer Schatten zu erkennen war, aus ihrem Blickfeld verschwand.
Gegen Mittag rasteten sie zwischen einigen Fichten und gönnten sich etwas von dem Trockenfleisch, das sie eingepackt hatte. Der Tee war noch heiß und tat gut in der eisigen Kälte. Während der letzten beiden Jahre hatte sich Clarissa an die eisigen Winter im Hohen Norden gewöhnt und ertrug Temperaturen um die zwanzig Grad minus, ohne zu klagen. Sie unterhielten sich über alltägliche Dinge, das Wetter, die Huskys oder den Zustand des Trails. Sie waren beide etwas verlegen, fast schon schüchtern, und sahen sich vor, einander nicht zu nahezukommen. Der Mountie, weil er
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