Clarissa - Wo der Himmel brennt
die Freiheit, dort wartete eine neue Zukunft, keine zehn Pferde würden sie in die Arme von Frank Whittler treiben.
Erst als sie das Ufer des kleinen Sees erreicht hatte, kamen ihr Zweifel. Als hätte die eisige Luft ihre hitzigen Gedanken beruhigt, trat sie auf die Bremse und brachte die überraschten Hunde mit einem lauten »Whoaa! Whoaa!« zum Stehen. Sie blieb auf dem Trittbrett und klopfte sich den Schnee von ihrer Felljacke, blickte über den zugefrorenen See, als würde sie ihn erst jetzt erkennen. »Du bist verrückt, Clarissa!«, flüsterte sie. »Stiehlst den Mounties, ausgerechnet den Mounties, den Schlitten und glaubst, dich irgendwo in der Wildnis vor ihnen verstecken zu können. Ohne Vorräte, ohne Waffe, nicht mal Streichhölzer hast du bei dir! Du musst den Verstand verloren haben! Da draußen gibt es keine Zukunft, jedenfalls jetzt noch nicht! Deine einzige Chance ist dieser nette Inspector … Paul … Nur er kann dir helfen.«
»Tut mir leid!«, rief sie den Huskys zu. »Ich glaube, ich bin gerade dabei, eine große Dummheit zu begehen.« Sie ließ die Hunde umkehren und trieb sie den Hang hinauf, scheinbar genauso wild entschlossen, zum Grenzposten zurückzukehren, wie sie ihn vor wenigen Minuten verlassen hatte. Ihre lauten, beinahe wütenden Anfeuerungsrufe schallten durch die eisige Luft. »Vorwärts, Bunker! Beeil dich, oder ich kriege großen Ärger! Go, heb die Beine!«
Alle fünf Mounties standen im Freien, als sie den Schlitten vor dem Haupthaus zum Stehen brachte. Sie rammte den Anker in den Schnee und stieg vom Trittbrett. »Ich konnte einfach nicht widerstehen«, entschuldigte sie sich.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Schlittern steuern können«, staunte Sherburne. Und als er sie ins Haus begleitete, so leise, dass ihn die anderen nicht verstehen konnten: »Sie hatten doch nicht vor, uns im Stich zu lassen?«
»Natürlich nicht«, antwortete sie ebenso leise, »ich wollte Ihnen nur mal zeigen, wie gut ich mich mit Ihren Hunden verstehe. Bunker ist ein erstklassiger Leithund, beinahe so gut wie damals mein Smoky. Wohin sollte ich auch fahren? Ich bin unschuldig, Paul. Ich war in den letzten zwei Jahren nicht mal in Vancouver und kann Whittler gar nicht bestohlen und schon gar nicht bedroht haben. Das kann ich zwar nicht beweisen, aber es ist die Wahrheit.«
Sherburne begleitete sie in die kleine Küche. »Sagen Sie mir das nächste Mal Bescheid, wenn Sie sich meinen Schlitten ausleihen wollen. Versprochen?«
»Versprochen«, stimmte sie zu, erleichtert darüber, so unbeschadet davongekommen zu sein. Sie durfte Sherburnes Großzügigkeit nicht zu sehr strapazieren, sonst legte er ihr vielleicht wirklich noch Handschellen an. »Starker Tee für Ihre Feldflasche? Und zwei Biskuits mit Marmelade für unterwegs?«
»Sie können ja wirklich Gedanken lesen, Clarissa. Und heute Abend …«
»… was besonders Gutes zum Essen, weil Sie nach der langen Fahrt sicher Hunger haben wie ein wilder Grizzly-Bär«, ergänzte sie lachend. »Ich hab einige Elchsteaks aus der Vorratskammer geholt, mit Bohnen und Biskuits?«
»So steht es auch auf meinem Wunschzettel«, scherzte er.
Seltsamerweise brachte ausgerechnet dieser Zwischenfall wieder etwas Ruhe in ihr Leben. Wenn er noch Zweifel gehabt haben sollte, hatte ihn ihre rasche Umkehr anscheinend endgültig von ihrer Unschuld überzeugt. Er begegnete ihr so freundlich und verständnisvoll, als wäre er gar kein Polizist, und es hätte nie einen Haftbefehl gegeben, und sie arrangierte sich mit ihrem neuen Leben und fühlte sich bei den Mounties beinahe zu Hause. Sie mochte die Constables, vor allem den etwas tollpatschigen McGill, der jeden Morgen von ihrem Kaffee schwärmte. Bei Sherburne fühlte sie sich seltsam geborgen und traute ihm inzwischen tatsächlich zu, das Gericht in Vancouver von ihrer Unschuld überzeugen zu können. Zwei Tage vor Weihnachten baute sie sogar einen Schneemann mit den Polizisten und schmückte ihn mit einem der breitkrempigen Mountie-Hüte, und alles sprach für ein fröhliches, beinahe ausgelassenes Weihnachtsfest, wäre Sherburne nicht am Heiligabend noch einmal zu den Goldgräbern am Lake Bennett gefahren, um ihnen ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen und einige Kinder mit süßen Schokokeksen zu beschenken.
Als er am späten Abend zurückkehrte, war Clarissa bereits dabei, den Elchbraten für das Festessen am Weihnachtstag vorzubereiten, und begrüßte ihn lächelnd, als er den Gemeinschaftsraum
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