Clarissa - Wo der Himmel brennt
sich vor einem Gericht verantworten zu müssen. Auch vertraute sie Sherburne, der versprochen hatte, ihr bei der Verteidigung zu helfen. »Ich kenne einen Anwalt in Vancouver«, hatte er schon im Dezember gesagt, »der ist unbestechlich und wird nicht zulassen, dass Sie für etwas büßen, was Sie nicht begangen haben.«
Wie Dolly stürzte sich auch Clarissa in die Arbeit und hatte Erfolg damit. Auch wenn der Schmerz über Alex’ wahrscheinlichen Tod noch tief in ihrer Seele saß, arbeitete sie sich aus dem dunklen Tal heraus, durch das sie gegangen war, und kam immer besser mit der Wirklichkeit zurecht. Als Sherburne sie einlud, ihn auf eine mehrstündige Patrouillenfahrt zu begleiten, sagte sie begeistert zu und genoss es, wieder im Freien zu sein und den frischen Fahrtwind im Gesicht zu spüren. Auf der Rückfahrt überließ ihr Sherburne das Trittbrett, und sie übernahm den Schlitten, feuerte Bunker und die anderen Huskys mit aufmunternden Zurufen an und spürte zum ersten Mal, dass ihr Leben noch lange nicht zu Ende war. Zum ersten Mal seit mehreren Wochen erhellte wieder ein Lächeln ihr Gesicht, und als sie vor dem Haupthaus vom Schlitten stieg, war ihr Gesicht von tiefer Dankbarkeit geprägt. »Vielen Dank, Paul«, sagte sie. »Ich glaube, das habe ich gebraucht. Sie sind gut zu mir.«
Ihr Verhältnis zu Sherburne war von aufrichtiger Freundschaft geprägt und bestimmte auch die nächsten Wochen. Es gab sogar Augenblicke, in denen sie glaubte, es könnte etwas mehr als Freundschaft daraus werden, doch kaum ging ihr dieser Gedanke durch den Kopf, tauchte schon wieder Alex vor ihrem geistigen Auge auf, und sie hütete sich, ihn in irgendeiner Form zu ermutigen. Doch ihr lag an seiner Freundschaft, und sie freute sich über seine schüchternen Komplimente und erwiderte sein warmes Lächeln, wenn sie mit den Constables beim Frühstück saßen, und er ihren Kaffee oder Tee lobte.
In der zweiten Februar-Woche verabschiedete sich Sherburne für mehrere Tage, um bei Superintendent Steele auf dem Chilkoot Pass vorzusprechen und ihm Bericht zu erstatten. »Es besteht kein Grund, ihm von einer Frau zu berichten, deren Haftbefehl ich beim besten Willen nicht finden kann«, beruhigte er sie, als sie allein waren. »Ich weiß, das entspricht nicht ganz der Vorschrift, aber Steele ist ein übertrieben strenger Mann und würde sich nur zu einem Befehl hinreißen lassen, den er vielleicht später bereut.« Er deutete ein Lächeln an. »Sie sind unschuldig, Clarissa, und werden bald wieder tun und lassen können, was Sie wollen, und ich würde mich sehr freuen …« Er errötete und hatte wohl Angst, ihr schon zu nahegetreten zu sein. »Bis bald, Clarissa.«
Sie blickte ihm mit gemischten Gefühlen nach und hoffte, dass er mit seinem Vertrauen in sie nicht zu weit ging und seine Karriere gefährdete. Wenn Superintendent Steele so ein strenger Vorgesetzter war, würde er es bestimmt nicht durchgehen lassen, dass er ihm eine Gefangene verschwieg. Sie kannte die Gesetze der North West Mounted Police nicht, nahm aber an, dass er sich damit sogar eine Degradierung einhandeln konnte. Ihr einziger Trost war, dass sie sich tatsächlich nichts zuschulden kommen lassen hatte und ein reines Gewissen besaß. Frank Whittler verstieß gegen das Gesetz, nicht sie, und eigentlich hatte er eine lange Gefängnisstrafe verdient.
Vier Tage später kehrte Sherburne vom Chilkoot Pass zurück. Nachdem er die Hunde versorgt hatte, rief er Clarissa und seine Constables in den Aufenthaltsraum und wartete, bis alle einen Becher mit frisch aufgebrühtem Tee vor sich stehen hatten. »Es gibt Neuigkeiten«, sparte er sich eine lange Einleitung. »Ich habe den Befehl erhalten, sofort nach Dawson City zu fahren und mich der dortigen Einheit anzuschließen. Dort treibt sich neuerdings eine Bande herum, wahrscheinlich ehemalige Komplizen von Soapy Smith, und Superintendent Steele will, dass ich eine Spezialtruppe aufstelle. Die Sache ist anscheinend sehr dringend, er will, dass ich schon morgen früh aufbreche. Bis einer von Steeles Constables von einer Patrouillenfahrt zurückkehrt und zu Ihnen stoßen wird, werden Sie ohne Hundeschlitten auskommen müssen. Constable Benson, Sie übernehmen vorübergehend das Kommando auf diesem Grenzposten.« Er wandte sich an Clarissaa. »Und Sie kommen mit mir, Clarissa.« Er lächelte. »Ist zwar schade für die Constables, die jetzt wieder McGills Kochkünsten ausgeliefert sind, aber auf die Weise kommen Sie doch
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