Clarissa - Wo der Himmel brennt
klingt alles sehr unwahrscheinlich und an den Haaren herbeigezogen, aber es ist wahr. Und wenn Whittler zwanzig Zeugen gegen mich aufbringt – ich habe ihn weder bestohlen noch bedroht. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Lügner. Ich bin unschuldig, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist!«
Sherburne nahm ihr den Haftbefehl und die anderen Papiere ab und legte sie auf den Schreibtisch. Nach einigem Überlegen verschloss er den Haftbefehl in einer Schublade. »Ich glaube Ihnen«, erwiderte er ruhig. »Nicht, weil Sie eine hübsche Frau sind und mir sehr gefallen, sondern weil ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen kann und ebenfalls meine Erfahrungen mit diesem Whittler gemacht habe. Vor einigen Jahren in Toronto gerieten wir wegen einer Frau aneinander. Ich hatte meinen Vater besucht, er ist Soldat und in Toronto stationiert, und war mehrmals mit der Tochter eines seiner Bekannten ausgegangen. Auf einem Empfang versuchte Frank Whittler, sich an sie ranzumachen und sie mir auszuspannen, obwohl er selbst mit einer jungen Dame gekommen war. Als er keinen Erfolg mit seinen Schmeicheleien hatte, beschimpfte er mich auf übelste Weise und versuchte sogar, mich bei meinen Vorgesetzten zu denunzieren, obwohl meine Begleiterin längst mit einem anderen Mann liiert war. Frank Whittler ist ein verwöhntes Millionärssöhnchen. Er glaubt, sich mit seinen Millionen alles erlauben zu können, und reagiert wie ein Schuljunge, wenn etwas nicht so läuft, wie er sich das vorstellt. Mit dem Unterschied, dass er mit seinen Beschimpfungen und Verleumdungen wesentlich mehr Unheil als ein Schuljunge anrichten kann.«
»Dann … Dann verhaften Sie mich nicht?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Ich kann den Haftbefehl natürlich nicht ignorieren. Er wurde ordnungsgemäß ausgestellt, und nur ein offizielles Schreiben meiner Vorgesetzten kann mich davon befreien, ihn zu befolgen, sonst müsste ich wohl morgen mein Abzeichen abgeben. Aber ich werde der Sache natürlich nachgehen und mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass Sie einen fairen Prozess bekommen. Auch mit Millionen sollte man das Gesetz nicht beugen dürfen.« Er bemerkte die Tränen in ihren Augen und fügte schnell hinzu: »Aber keine Angst, ich werde Ihnen deswegen keine Handschellen anlegen und Sie ins Gerätehaus sperren. Sie sind hier ja sowieso …« Er räusperte sich verlegen. »… unter Aufsicht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie bei diesem Wetter einen Fluchtversuch unternehmen würden.« Er hob ein Formular auf, das sie übersehen hatte, und legte es zu den anderen Papieren. Seine Miene blieb ernst. »Meine Constables wissen nichts von dem Haftbefehl, und ich werde den Teufel tun und sie darüber informieren. Es reicht, wenn ich ihn kenne. Also machen Sie sich keine Sorgen! Bis zum Frühjahr hat man den Haftbefehl vielleicht schon aufgehoben, und wenn nicht, werde ich persönlich vor Gericht erscheinen und für Sie aussagen. Ich lasse Sie nicht im Stich, Clarissa.«
»Ihr Vertrauen ehrt mich, Paul.« Ihre Miene war immer noch angespannt. »Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand etwas gegen die Whittlers ausrichten kann. Gegen Frank vielleicht, aber nicht gegen seinen Vater. Da würde sich sogar die Regierung schwertun. Ich werde wohl im Gefängnis landen.«
»Die Richter sind nicht dumm«, beruhigte sie der Mountie. »Die wissen auch, dass sich die Whittlers mit ihrem Geld willige Zeugen kaufen können. Aber Meineid ist strafbar, und ein geschickter Anwalt kann sie vielleicht in die Enge treiben. Sie werden sehen, es wird sich alles zum Guten wenden.«
»Wenn Sie meinen, Paul … Ich hoffe, dass Sie recht haben.«
Nachdem er gegangen war, blieb Clarissa minutenlang an den Schreibtisch gelehnt stehen und starrte ins Leere. Die Glückssträhne, die mit ihrer Rettung gerade erst begonnen hatte, war schon wieder vorbei, und es war das eingetreten, was sie am meisten befürchtet hatte: Sie war eine Gefangene der Mounties und würde spätestens im Frühjahr nach Vancouver zurückreisen und sich vor Gericht verantworten müssen. Daran konnte auch Paul nichts ändern. Als Inspector der North West Mounted Police war er verpflichtet, sie festzunehmen, sonst würde man ihn degradieren oder unehrenhaft entlassen.
Sie unterdrückte ihre Tränen nicht länger und ließ ihnen freien Lauf. Ihr Leben, vor wenigen Monaten noch von Zufriedenheit und Zuversicht bestimmt, hatte sich innerhalb weniger Monate in einen Scherbenhaufen verwandelt. Ihr Mann war
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