Clarissa - Wo der Himmel brennt
verschwunden, vielleicht sogar für immer, und sie selbst steckte in den Fängen der Justiz, und wahrscheinlich wartete eine mehrjährige Haftstrafe auf sie. Womöglich würde sie nicht einmal Dolly wieder sehen. »Womit habe ich das verdient?«
Aus Angst, in Selbstmitleid zu versinken, rieb sie sich die Tränen aus den Augen und griff nach dem Besen. Wütend kehrte sie den Schmutz zusammen. Sie hatte niemals aufgegeben, weder nach dem Tod ihrer Eltern noch als Frank Whittler ihr dicht auf den Fersen gewesen war. Vehement hatte sie sich gegen das Schicksal aufgelehnt, das sie schon vor etwas mehr als zwei Jahren an den Rand eines Abgrunds getrieben hatte. Nur weil sie damals immer an sich geglaubt hatte, und weil Bones in ihrer Nähe gewesen war, hatte es eine neue Zukunft für Alex und sie gegeben. Jetzt war sie wieder gefordert, und Alex wurde vermisst, und der geheimnisvolle Wolf ließ sich nicht blicken. Sie hielt im Kehren inne und blickte aus dem Fenster. Düstere Wolken hingen über dem Pass und dem abschüssigen Tal, das sich bis zu dem kleinen See, an dem sie entlanggefahren waren, und bis zum Lake Bennett hinzog. Der böige Wind trieb den Schnee in feinen Schleiern vor sich her. Keine Spur von der Sonne, und auch Bones schien der Meinung zu sein, dass sie jetzt stark genug war, um sich selbst zu helfen. Woher sollte er auch wissen, dass sie eine Gefangene war, wenn auch ohne Handschellen?
Als sie am nächsten Morgen vor das Haus trat, um die Hunde zu füttern, sah sie, dass Sherburne sie bereits vor den Schlitten gespannt hatte. Anscheinend wollte er zu einer seiner Patrouillenfahrten aufbrechen. Er war nicht zu sehen, wahrscheinlich hielt er sich noch bei seinen Constables in der Unterkunft auf und traf seine Vorbereitungen. Er würde das Frühstück ausfallen lassen, etwas Trockenfleisch und heißen Tee in seiner Feldflasche mitnehmen und sie bitten, etwas Herzhaftes zum Abendessen zu kochen, weil er sicher Hunger wie ein wilder Grizzly haben würde, wenn er abends nach Hause käme.
Sie beugte sich zu Bunker, dem kräftigen Leithund, hinunter und kraulte ihn liebevoll. »Ihr habt es gut«, sagte sie zu ihm, »euch sperrt niemand ein. Ihr könnt laufen, bis ihr nicht mehr könnt, und seid noch immer nicht am Ziel.«
Ihr Blick ging zum Schlitten und richtete sich in weite Ferne, dorthin, wo sich der treibende Schnee mit dem morgendlichen Dunst vereinte. Sie brauchte nur auf den Schlitten zu steigen und die Hunde anzutreiben und hätte ihre Freiheit wieder. Zu Fuß wäre es den Mounties unmöglich, sie einzuholen, und hier oben gab es weder einen Telegrafen noch sonst eine Möglichkeit, um Alarm zu schlagen. Nur wenige Schritte lagen zwischen ihr und dem Trittbrett. Wenn sie sich ein Herz fasste und sofort losrannte, wäre sie bereits unterwegs, wenn die Mounties aus dem Haus kamen.
Sie überlegte nicht weiter und stieg auf den Schlitten. Entschlossen riss sie den Anker aus dem Schnee und rief: »Go! Go! Vorwärts, Bunker!« Die Hunde ließen sich nicht lange bitten. Sie hatten sich zwei Tage nur wenig bewegt und hatten nur darauf gewartet, endlich wieder durch den Schnee zu hetzen. Kein Tier rannte so gern wie ein Husky, das wusste sie besser als viele andere. Ihr Smoky wäre am liebsten den ganzen Tag und die ganze Nacht gerannt.
Den böigen Wind im Gesicht, lenkte sie den Schlitten den Hang hinunter. Verharschter Schnee spritzte unter den Kufen, als sie die Hunde gleich hinter dem Gerätehaus in eine scharfe Rechtskurve lenkte und über den vereisten Hang jagte. Indem sie in die Knie ging und geschickt ihr Gewicht verteilte, führte sie den Schlitten über den kaum sichtbaren Trail und hielt auf der buckeligen Piste das Gleichgewicht. Um die aufgeregten Schreie der Mounties, die aus der Unterkunft gerannt kamen und ihren Namen riefen, kümmerte sie sich nicht. Sie wollte nur weg, alle Sorgen hinter sich lassen und ihre Freiheit wiederhaben. »Vorwärts, Bunker, vorwärts! Go, go, warum lauft ihr denn nicht?«
Wild entschlossen, in eine bessere Zukunft zu fahren, trieb sie die Hunde in die Senke hinab. Bunker rannte mit kräftigen Schritten über den Schnee, die Schnauze im Wind, jeder Muskel gespannt. Der Schlitten schlingerte und scharrte über das Eis. Clarissa war von dem kräftigen Fahrtwind wie berauscht, trotzte der eiskalten Gischt, die auf sie niederregnete, und hielt den Blick stur nach vorn gerichtet, als gäbe es nur noch ein Vorwärts und kein Zurück mehr für sie. Im fernen Dunst lag
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