Clarissa - Wo der Himmel brennt
sollte mich nicht so anstellen. Alex kennt sich besser in der Wildnis aus als jeder andere Mann, die Indianer vielleicht ausgenommen, und lässt sich bestimmt nicht aufs Kreuz legen. Schon gar nicht von einem verwöhnten Städter wie Frank Whittler. Er kann nicht tot sein! Er kommt bestimmt mit dem nächsten oder übernächsten Schiff. Ich sollte mich viel mehr um dich kümmern. Wie geht es dir, Dolly?«
Dolly ging es täglich besser. Früher als erwartet konnte sie wieder aufstehen und sich auf Krücken fortbewegen, und nach drei Wochen hatte sich auch der Zustand ihres Knies so weit gebessert, dass sie kaum noch Schmerzen verspürte. Sie fing in dem Restaurant, in dem der Kapitän der Bristol gewesen war, als Bedienung an und investierte einen Teil ihres ersten Lohns in eine riesige Torte, die sie von dem deutschen Bäcker in der Holly Street backen und mit der Aufschrift »Danke, Clarissa und Mrs Buchanan« verzieren ließ.
Alex war nicht auf der California und ließ sich auch in der nächsten und übernächsten Woche nicht blicken. In der fünften Woche nach seinem Verschwinden brachte ihr der Kapitän jedoch einen Brief von Mary Redfeather mit, den sie wie etwas sehr Kostbares mit beiden Händen festhielt und erst allein in ihrem Zimmer öffnete. Hin und her gerissen zwischen vorsichtiger Freude über eine Nachricht aus Port Essington und der Angst vor einer Nachricht, die vielleicht ihr Leben zerstören würde, las sie die Zeilen: »Liebe Clarissa, entschuldige, dass ich dir erst jetzt schreibe. Leider ist Alex noch nicht aufgetaucht. Niemand weiß, wo er ist, nicht einmal die Indianer. Meine beiden Söhne haben tagelang nach ihm gesucht und ihn nicht gefunden. Außer dem Stiefel hat er keinerlei Spuren hinterlassen, und wenn er nicht ein so erfahrener Waldläufer wäre, könnte man fast glauben, er sei von der Brandung erfasst und ins Meer gezogen worden, aber das halte ich für unmöglich. In der Nacht, als er verschwand, war das Meer ruhig. Ich glaube, er hält sich irgendwo versteckt. Ein Fallensteller wie er weiß, wie man sich unsichtbar machen kann. Er muss einen triftigen Grund dafür haben, und ich bin sicher, dass er schon bald wieder auftaucht und nach dir sucht. Gib die Hoffnung nicht auf, Clarissa! Ich weiß, dass er wiederkommen wird, und gebe dir sofort Bescheid, wenn er sich bei mir gemeldet hat. Es grüßt dich Mary Redfeather.«
Clarissa las den Brief mehrere Male, bis sie ihn fast auswendig kannte, und trug ihn auch Mrs Buchanan und Dolly vor. Beide gaben sich genauso zuversichtlich wie ihre indianische Freundin. »Der kommt«, versicherte Dolly, die sich auch von ihrem Schicksalsschlag einigermaßen erholt hatte und zumindest nicht mehr in der Öffentlichkeit weinte. »So einer verschwindet nicht einfach.« Und Mrs Buchanan sagte: »Ich bete jeden Abend für Sie, Clarissa.«
Um ihre Ersparnisse nicht angreifen zu müssen, half Clarissa ihrer Wirtin inzwischen im Haushalt. Lediglich das Kochen überließ sie Mrs Buchanan, die vor allem auf Eintöpfe spezialisiert war und »den besten Elcheintopf zwischen der Arktis und dem Äquator« kochte, wenn man Fitz glauben durfte. Der alte Goldsucher hatte sich bei Frank Reid in Dyea einquartiert, kam aber jeden zweiten Tag zum Abendessen und grinste über beide Backen, wenn Mrs Buchanan ihm eine Schüssel mit Eintopf mitgab. Fitz und Frank Reid hatten inzwischen über achtzig Männer für den Kampf gegen Soapy Smith eingeschworen und bereiteten eine große Demonstration gegen ihn vor, die den Bürgern klarmachen sollte, mit was für einem gerissenen Betrüger sie es zu tun hatten, und ihn endgültig aus Skaguay vertreiben sollte. Dolly hatte zwei Kolleginnen angeworben, die ebenfalls gegen Soapy Smith auf die Straße gehen wollten, und Mrs Buchanan wurde nicht müde, über den Verbrecherkönig zu lästern. Clarissa war zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, um Reids »Committee of 101« unterstützen zu können.
Doch noch war von der neuen Aufbruchsstimmung in Skaguay wenig zu spüren. Soapy Smith und seine Bande gingen weiter ihren krummen Geschäften nach, und seine Männer lachten jedem ins Gesicht, der die Nase rümpfte, wenn er an ihnen vorbeilief. Reverend Ike war mit der California nach Süden gefahren, wahrscheinlich, um auf der Rückfahrt mögliche Opfer in Augenschein nehmen zu können, und US Deputy Marshal Tanner versteckte sich hinter seinem Abzeichen und seiner Standardausrede, die meisten Verbrechen gingen auf
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