Clark Mary Higgins
jetzt mit immer rascher werdenden Schritten durch den Park eilte, hatte sie das unheimliche
Gefühl, die Bilder wieder vor sich zu sehen. Doch diesmal war
es ihr eigenes Gesicht, nicht das Renatas, das die Titelseite der Daily News mit der Schlagzeile ERMORDET! einnahm.
Kitty Conway hatte sich der Gruppe von Reitschülern im Morrison State Park aus einem einzigen Grund angeschlossen: Sie
mußte ihre Zeit ausfüllen. Sie war eine hübsche, achtundfünfzigjährige Frau mit rotblondem Haar und grauen Augen, die durch
die feinen Fältchen, die ringsum von ihnen ausstrahlten, noch
betont wurden. Es gab eine Zeit, da diese Augen ständig amüsiert oder schelmisch zu funkeln schienen. Als Kitty fünfzig
wurde, hatte sie zu ihrem Mann gesagt: »Wie kommt es nur, daß
ich mich immer noch wie zweiundzwanzig fühle?«
»Weil du zweiundzwanzig bist! « hatte er geantwortet. Jetzt
war Michael schon fast drei Jahre tot. Während sie vorsichtig
auf die Fuchsstute stieg, kamen ihr alle die Tätigkeiten in den
Sinn, auf die sie sich in diesen drei Jahren eingelassen hatte. Sie
besaß heute ein Diplom als Grundstücksmaklerin und war eine
verdammt gute Verkäuferin. Sie hatte ihr Haus in Ridgewood,
das sie und Michael erst kurz vor seinem Tod gekauft hatten,
neu eingerichtet. Sie nahm aktiv teil an einem literarischen Zirkel und arbeitete einen Tag im Monat freiwillig im Museum. Sie
hatte zwei Reisen nach Japan unternommen, wo Mike junior, ihr
einziger Sohn, als Berufsoffizier stationiert war, und das Zusammensein mit ihrer halbjapanischen Enkelin sehr genossen.
Sie hatte auch wieder begonnen, Klavierstunden zu nehmen,
doch ohne rechte Begeisterung. Zweimal im Monat brachte sie
behinderte Patienten mit ihrem Wagen zum Arzt, und das Neuste waren jetzt die Reitstunden. Doch was immer sie tat, wie
viele Freundschaften sie auch pflegte, überall verfolgte sie das
Gefühl von Einsamkeit. Auch jetzt, als sie sich folgsam in das
Dutzend anderer Reitschüler hinter dem Lehrer einreihte, empfand sie nur tiefe Traurigkeit beim Anblick der in einen leichten
Dunstschleier gehüllten Bäume, jenes rötlichen Schimmers, in
dem sich der Frühling ankündigte. »Ach, Michael«, flüsterte sie,
»ich wünschte, es würde besser. Ich versuche wirklich alles.«
»Wie kommen Sie zurecht, Kitty?« brüllte der Reitlehrer.
»Gut«, rief sie zurück.
»Wenn Sie wirklich wollen, daß es gutgeht, dann halten Sie
die Zügel straffer. Zeigen Sie ihr, daß Sie der Herr sind. Und
lassen Sie die Fersen unten!«
»Verstanden.« Scher dich zum Teufel, dachte Kitty. Dieser
Gaul ist wirklich der schlimmste von allen. Eigentlich hätte ich
Charley reiten sollen, aber den hast du natürlich der Neuen, die
so sexy ist, zugeteilt.
Der Pfad stieg steil an. Das Pferd blieb bei jedem bißchen
Grün am Wegrand stehen, um zu fressen. Ein Reiter nach dem
anderen aus der Gruppe überholte sie. Sie wollte den Anschluß
nicht verlieren. »Los, weiter, verdammt noch mal!« murmelte
sie und stieß ihre Hacken in die Flanken des Pferdes.
Mit einer plötzlichen, heftigen Bewegung warf die Stute den
Kopf zurück und bäumte sich auf. Erschrocken riß Kitty an den
Zügeln, als das Pferd in einen Seitenpfad abschwenkte. Krampfhaft versuchte sie, daran zu denken, sich nicht nach vorn zu
beugen. Zurück lehnen, wenn es Schwierigkeiten gibt! Sie spürte
die lockeren Steine unter den Hufen des Pferdes weggleiten.
Aus seiner unregelmäßigen Gangart fiel es jetzt in vollen Galopp, raste bergab, über unebenes Gelände. O Gott, wenn das
Pferd stürzt, werde ich unter ihm zerquetscht! Sie versuchte, die
Stiefel so weit zurückzuziehen, daß nur noch die Fußspitzen in
den Steigbügeln waren, damit sie, falls sie runterfiel, nicht hängenblieb.
Hinter sich hörte sie den Reitlehrer brüllen. »Zügel lockern!«
Sie spürte, wie das Pferd stolperte, als ein großer Stein unter der
Hinterhand nachgab. Es war schon drauf und dran, in die Knie
zu gehen, konnte sich aber wieder auffangen. Ein Stück schwarzes Plastik wirbelte hoch und streifte Kittys Wange. Sie sah
nach unten, der Eindruck einer in einer leuchtendblauen Manschette steckenden Hand schoß ihr durch den Kopf und war
schon wieder verschwunden.
Am Fuß des steinigen Abhangs angekommen, ging das Pferd
vollends durch und eilte im gestreckten Galopp zurück zum
Stall. Es gelang Kitty, bis zum letzten Augenblick im Sattel zu
bleiben; sie fiel erst herunter, als die Stute abrupt an der
Weitere Kostenlose Bücher