Clark Mary Higgins
morgen abend zu euch zum
Essen. Wird Sal auch da sein? Gut. Die drei Musketiere aus der
Bronx treffen sich wirklich zu selten. Ich habe Sal schon seit
Weihnachten nicht mehr gesehen. Hat er vielleicht wieder geheiratet?«
Ehe er das Gespräch beendete, erinnerte der Bischof Neeve
noch daran, daß sein Lieblingsgericht Spaghetti al pesto seien.
»Der einzige Mensch, der das noch besser als du machen konnte, war deine Mutter. Gott hab sie selig«, fügte er sanft hinzu.
Normalerweise erwähnte Devin Stanton Renata nicht bei einem gewöhnlichen Telefongespräch. Neeve hatte den plötzlichen Verdacht, daß er mit Myles über Nicky Sepettis Entlassung
gesprochen haben könnte. Doch ehe sie ihn deswegen ausfragen
konnte, hatte er schon aufgehängt. Ich setz dir deinen Pesto vor,
Onkel Dev, dachte sie. Aber ich setz dir auch einen Floh ins
Ohr. Mein Vater kann mich wirklich nicht mein Leben lang bemuttern.
Kurz bevor sie aufbrach, rief sie noch in Sals Wohnung an. Er
war in der gewohnten überschäumend guten Laune. »Selbstverständlich habe ich die Einladung für morgen abend nicht vergessen. Was gibt’s denn? Ich werde den Wein mitbringen. Dein
Vater meint zwar, daß nur er etwas von Wein verstünde.«
Neeve lachte mit ihm und legte den Hörer auf die Gabel. Sie
knipste alle Lichter aus und verließ das Geschäft. Das unberechenbare Aprilwetter war wieder kalt geworden. Trotzdem empfand sie das Bedürfnis nach einem längeren Spaziergang. Myles
zuliebe hatte sie eine Woche aufs Joggen verzichtet, und sie
fühlte sich steif in allen Gliedern. Mit raschen Schritten lief sie
bis zur Fifth Avenue und beschloß, auf der Höhe der 79. Straße
quer durch den Central Park zu gehen. Sie trachtete stets, die
Gegend hinter dem Metropolitan Museum zu meiden, wo man
die Leiche ihrer Mutter gefunden hatte.
Die Madison Avenue war noch belebt, voller Autos und Fußgänger. Auf der Fifth Avenue sausten Taxis und Limousinen
rasch an ihr vorbei, doch auf der am Park entlangführenden
Straßenseite waren fast keine Menschen. Entschlossen warf
Neeve den Kopf zurück, als sie sich der 79. Straße näherte. Sie
war nicht gewillt, sich von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen.
Sie wollte eben in den Park einbiegen, als ein Polizeiauto neben ihr hielt. »Miss Kearney.« Ein lächelnder Sergeant kurbelte
das Fenster herunter. »Wie geht’s denn dem Commissioner?«
Sie erkannte den Mann. Während einer bestimmten Zeit war
er der Chauffeur ihres Vaters gewesen. Sie trat zu ihm, um sich
mit ihm zu unterhalten.
Wenige Schritte hinter ihr blieb Denny abrupt stehen. Er trug
einen langen, unförmigen Mantel mit hochgeschlagenem Kragen
und eine gestrickte Mütze. Sein Gesicht war fast ganz verhüllt.
Doch auch so spürte er, daß sich der Blick des Polizisten auf
dem Beifahrersitz des Streifenwagens fest auf ihn richtete. Polizisten hatten ein sehr gutes Gedächtnis, was Gesichter anging,
und erkannten selbst solche wieder, die sie nur kurz im Profil
gesehen hatten. Denny wußte das. Er ging daher lieber weiter
und beachtete weder Neeve noch die Polizisten; trotzdem spürte
er, daß Blicke ihn verfolgten. Direkt vor ihm war eine Busstation. Da gerade ein Bus kam, mischte er sich unter die Wartenden
und stieg ein. Als er seinen Fahrschein löste, merkte er, daß ihm
der Schweiß auf der Stirn stand. Noch eine Sekunde, und der
Bulle hätte ihn womöglich erkannt.
Mit finsterer Miene setzte Denny sich auf einen freien Platz.
Dieser Job wäre mehr Geld wert gewesen, als was man ihm dafür bezahlte. Wenn Neeve Kearney umgelegt wurde, würden
sich vierzigtausend New Yorker Polizisten auf Menschenjagd
begeben.
Als Neeve den Park betrat, fragte sie sich, ob es purer Zufall
gewesen war, daß Sergeant Collins sie gesehen hatte. Oder sollte
Myles die besten Leute in New York aufgeboten haben, um
Schutzengel für sie zu spielen?
Im Park gab es eine Menge Jogger, einige wenige Radfahrer,
ein paar Fußgänger und eine traurige Anzahl von Obdachlosen,
die unter Schichten von Zeitungspapier oder zerrissenen Wolldecken dalagen. Sie konnten sterben, ohne daß jemand davon
Notiz nehmen würde, dachte Neeve, während sie geräuschlos in
ihren weichen italienischen Stiefeln über die Wege lief. Zu ihrem eigenen Ärger konnte sie nicht anders, als ständig über die
Schulter nach hinten zu blicken. Als Teenager hatte sie sich in
der Bibliothek im Zeitungsarchiv die Bilder ihrer ermordeten
Mutter angesehen. Während sie
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