Clark Mary Higgins
zu informieren, aber es war
nicht so herausgekommen, wie er es beabsichtigt hatte.
Nicky Sepetti und seine Bande hatten keinen Auftrag erteilt,
Neeve Kearney zu liquidieren. Der Kontrakt war von jemand
anders ausgegangen. Tony wußte, daß man am Dienstag abend
auf ihn geschossen hatte. Wie lange war er wohl schon im
Krankenhaus? Undeutlich erinnerte er sich an bruchstückhafte
Mitteilungen, die sie Nicky wegen des Kontrakts gemacht hatten: Niemand kann einen Kontrakt wieder aufheben. Der ExCommissioner darf sich auf ein weiteres Begräbnis gefaßt machen!
Tony versuchte sich aufzurichten. Er mußte sie unbedingt
warnen.
»Immer schön langsam«, hörte er eine sanfte Stimme.
Er spürte einen Stich in seinem Arm, und kurz darauf glitt er
hinüber in einen ruhigen, traumlosen Schlaf.
7
Am Donnerstagmorgen kurz nach acht Uhr warteten Neeve und
Tse-Tse in einem Taxi auf der gegenüberliegenden Straßenseite
von Ethels Wohnung. Am Dienstag war Ethels Neffe um zwanzig nach acht zur Arbeit weggegangen. Heute wollten sie sichergehen, ihm nicht zu begegnen. Den Protest des Taxifahrers:
»Vom Warten werde ich nicht reich!«, beschwichtigte Neeve
mit dem Versprechen eines Trinkgelds von zehn Dollar.
Tse-Tse war es, die Doug um Viertel nach acht als erste erblickte. »Da ist er.«
Neeve beobachtete, wie er die Wohnungstür abschloß, sich nach
allen Seiten umsah und dann in Richtung Broadway davonging.
Der Morgen war frisch, und er trug einen Regenmantel mit Gürtel.
»Das ist ein echter Burberry«, stellte sie fest. »Für einen Empfangsangestellten scheint er ja verdammt gut bezahlt zu werden.«
Die Wohnung war erstaunlich gut aufgeräumt. Bettlaken und
eine Decke lagen an einem Ende des Sofas unter einem Kopfkissen. Der Kissenbezug war verknittert; offensichtlich war darauf geschlafen worden. Es gab keine Spur eines benutzten
Aschenbechers, aber Neeve war sicher, daß sie einen schwachen
Geruch von Zigarettenrauch in der Luft feststellen konnte. »Er
hat geraucht, will aber nicht, daß man ihn erwischt«, bemerkte
sie. »Ich frage mich, warum.«
Das Schlafzimmer war vorbildlich ordentlich. Das Bett war
gemacht. Dougs Koffer lag auf der Chaiselongue. Anzüge, Hosen und Jacken auf Kleiderbügeln lagen über der Lehne. Seine
Nachricht für Ethel stand auf dem Toilettentisch gegen den
Spiegel gelehnt.
»Wer hält hier wen zum Narren?« fragte Tse-Tse. »Wie
kommt er dazu, das zu schreiben, und wieso benutzt er ihr
Schlafzimmer nicht mehr?«
Neeve wußte, daß Tse-Tse einen guten Blick für Kleinigkeiten hatte. »Also gut«, sagte sie. »Fangen wir mal bei der Nachricht an. Hat er je schon eine Notiz für sie hinterlassen?«
Tse-Tse trug wieder ihr Stubenmädchenkostüm. »Noch nie«,
sagte sie und schüttelte so heftig den Kopf, daß die Schnecken
über ihren Ohren wackelten.
Neeve ging zum Kleiderschrank und öffnete die Tür. Bügel
für Bügel sah sie Ethels ganze Garderobe durch, um sich zu vergewissern, daß sie keinen der Mäntel übersehen hatte. Sie waren
alle vorhanden: Zobelpelz, Nutriajacke, Kaschmirmantel,
Wollmantel, Burberry, Ledermantel, Cape. Sie erklärte Tse-Tse,
die ihr verwundert zusah, was sie machte.
Tse-Tse bestärkte sie in ihrem Verdacht. »Ethel erzählt mir
immer wieder, daß sie keine Impulsivkäufe mehr macht, seit du
sie für ihre Garderobe berätst. Du hast recht. Sie besitzt keinen
anderen Mantel.«
Neeve schloß die Schranktür. »Es ist mir gar nicht wohl, daß
ich so herumschnüffle, aber ich muß es tun. Ethel hat in ihrer
Handtasche immer einen kleinen Notizkalender bei sich. Ich bin
aber ziemlich sicher, daß sie auch noch einen größeren Terminkalender besitzt.«
»Ja, das stimmt«, sagte Tse-Tse. »Er liegt auf ihrem Schreibtisch.«
Die Agenda lag neben einem Stapel Post. Neeve schlug sie
auf. Für jeden Tag gab es eine ganze Seite, auch noch für den
Dezember des vorangegangenen Jahres. Sie blätterte die Seiten
durch, bis sie zum 31. März kam. In großen Buchstaben hatte
Ethel notiert: »Doug Kleider bei Neeve abholen lassen.« Die
Zeitangabe 15 Uhr war eingerahmt. In der Zeile darunter stand:
»Doug bei mir.«
Tse-Tse sah Neeve über die Schulter. »Da hat er also nicht gelogen«, sagte sie. Die Morgensonne, die die ganze Zeit hell ins
Zimmer geschienen hatte, verschwand plötzlich hinter einer
Wolke. Tse-Tse erschauerte. »Mein Gott, Neeve, die Wohnung
wird mir langsam unheimlich.«
Neeve antwortete nicht, sondern blätterte den ganzen
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