Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Clark Mary Higgins

Clark Mary Higgins

Titel: Clark Mary Higgins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlaf Wohl Mein Sußes Kind
Vom Netzwerk:
Es gab nur eine Hoffnung. Er hatte den
Umschlag nicht sehr tief in den Briefkasten geschoben. Er sah
die Ecke vor sich, die aus dem Schlitz herausragte. Vielleicht
konnte er das Kuvert wieder herausziehen. Es war eine Chance
von eins zu einer Million. Sein normaler Menschenverstand sagte ihm, daß der Briefträger den Umschlag wahrscheinlich inzwischen mit anderer Post ganz in den Kasten hineingestoßen hatte.
Aber er klammerte sich an die geringe Chance. Es war das einzige, was er überhaupt tun konnte.
    In Ethels Straße warf er rasche Blicke auf die Vorübergehenden. Er hoffte, nicht auf bekannte Gesichter von Ethels Nachbarn zu stoßen. Als er bei ihrem Haus anlangte, steigerte sich
sein Gefühl der Hoffnungslosigkeit bis zur Verzweiflung. Er
konnte nicht einmal versuchen, einen Brief zu stehlen, ohne alles zu verpfuschen. Man brauchte einen Schlüssel, um in die
Eingangshalle zu den Briefkästen zu gelangen. Am gestrigen
Abend hatte das unerträgliche Gör ihm die Tür geöffnet. Jetzt
müßte er wohl beim Hauswart klingeln, und der würde bestimmt
nicht zulassen, daß er sich an Ethels Briefkasten zu schaffen
machte.
    Während er noch unschlüssig dastand, ging im dritten Stock
ein Fenster auf. Eine Frau lehnte sich hinaus. Über ihre Schulter
hinweg konnte er das Gesicht des Mädchens sehen, mit dem er
gestern gesprochen hatte.
    »Sie war die ganze Woche nicht da«, teilte ihm eine schrille
Stimme mit. »Und wissen Sie, letzten Donnerstag hätte ich beinahe die Polizei gerufen, als ich hörte, wie Sie sie angeschrien
haben.«
    Seamus drehte sich um und floh. Sein Atem ging in kurzen,
abgehackten Stößen, während er blindlings die West End Avenue hinunterrannte. Erst als er sicher in seiner eigenen Wohnung
war und die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, wurde ihm bewußt, daß sein Herz wild klopfte und er keuchend nach Atem
rang. Zu seiner Bestürzung hörte er Schritte im Korridor, die
vom Schlafzimmer herkamen. Ruth war bereits zu Hause. Rasch
wischte er sich mit der Hand übers Gesicht und versuchte, sich
zusammenzureißen.
    Ruth schien seine Erregung nicht zu bemerken. Sie hatte seinen braunen Anzug über dem Arm. »Den wollte ich gerade in
die Reinigung bringen«, begann sie. »Könntest du mir in drei
Teufels Namen verraten, wieso du eine Hundertdollarnote in der
Tasche hast?«
    Nachdem Neeve gegangen war, blieb Jack Campbell noch fast
zwei Stunden in seinem Büro. Doch er konnte sich nicht auf das
Manuskript konzentrieren, das ihm ein Literaturagent mit einer
begeisterten Empfehlung geschickt hatte. Nach ein paar vergeblichen Anläufen, sich von der Geschichte fesseln zu lassen,
schob er das Manuskript ungewöhnlich gereizt beiseite. Der
Ärger war gegen ihn selber gerichtet. Es war nicht fair, die ernste Arbeit von jemand zu beurteilen, wenn die Gedanken zu
neunundneunzig Prozent bei einer anderen Sache waren.
    Neeve Kearney. Merkwürdig, daß er schon vor sechs Jahren
bedauert hatte, sie nicht um ihre Telefonnummer gebeten zu
haben. Er hatte sie sogar, als er einige Monate später in New
York war, im Telefonbuch von Manhattan gesucht. Es gab ganze Seiten von Kearneys, aber keine Neeve. Sie hatte etwas von
einem Kleidergeschäft gesagt. Er schlug auch im Branchenverzeichnis nach. Vergeblich.
    Dann hatte er es aufgegeben und die Sache auf sich beruhen
lassen. Soviel er wußte, lebte sie mit einem Mann zusammen.
Irgendwie hatte er sie nie ganz vergessen können. Als sie bei der
Cocktailparty auf ihn zukam, hatte er sie sofort erkannt. Sie war
nicht mehr das zweiundzwanzigjährige junge Mädchen im Skipullover. Sie war eine interessante, elegant gekleidete junge
Frau. Doch das kohlschwarze Haar, der milchweiße Teint, die
großen braunen Augen und die vielen Sommersprossen waren
noch dieselben.
    Jetzt fragte Jack sich, ob sie ernsthaft an jemand gebunden
war. Wenn nicht…
Um sechs Uhr steckte seine Assistentin den Kopf zur Tür herein. »Mir reicht’s für heute«, verkündete sie. »Darf ich Sie wohl
darauf hinweisen, daß Sie allen andern das Leben schwermachen, wenn Sie abends so lange arbeiten?«
Jack schob das ungelesene Manuskript zurück und stand auf.
»Ich gehe schon«, sagte er. »Nur noch eine Frage, Ginny. Was
wissen Sie über Neeve Kearney?«
Während er zu Fuß zu seiner möblierten Wohnung am Südrand des Central Park ging, dachte er über ihre Antwort nach.
Neeve Kearney hatte eine ungeheuer erfolgreiche Modeboutique. Ginny kaufte dort

Weitere Kostenlose Bücher