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Clark Mary Higgins

Clark Mary Higgins

Titel: Clark Mary Higgins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlaf Wohl Mein Sußes Kind
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gestarrt haben, deren Kehle er gerade durchschnitten hatte? Unmöglich!
    Eine andere Erinnerung kehrte in Ruths Gedächtnis zurück,
etwas, worüber die ganze Familie gelacht hatte, damals, als sie
noch lachen konnten. Seamus hatte bei Marcys Geburt dabeisein
wollen und war prompt ohnmächtig geworden. Beim Anblick
von Blut war er umgesunken. »Sie waren besorgter um deinen
Vater als um dich und mich«, erzählte Ruth ihrer Tochter. »Das
war das erste und letzte Mal, daß ich Papa erlaubt habe, in den
Kreißsaal zu kommen. Es war besser für ihn, sich in der Bar
einen zu genehmigen, als dem Arzt im Weg zu stehen.«
    Seamus, der zusah, wie das Blut aus Ethels Kehle quoll; der
ihre Leiche in einen Plastiksack zwängte, sie heimlich aus der
Wohnung schaffte? In den Nachrichten hatte es geheißen, daß
die Etiketten aus Ethels Kleidern entfernt worden waren. Seamus sollte die Kaltblütigkeit gehabt haben, das zu tun und sie
dann in der Höhle im Park zu begraben? Das war einfach nicht
möglich, entschied sie.
    Doch wenn er Ethel nicht getötet hatte, wenn er sie wirklich so
zurückgelassen hatte, wie er behauptete, dann hatte sie selber, als
sie den Brieföffner reinigte und wegbrachte, womöglich einen
Beweis vernichtet, der zu jemand anderem hätte führen können!
    Sie konnte sich mit dieser erdrückenden Möglichkeit nicht
länger beschäftigen. Erschöpft stand sie auf und ging ins Schlafzimmer. Seamus atmete gleichmäßig, aber er rührte sich. »Ruth,
bleib bei mir.« Als sie sich ins Bett legte, schlang er die Arme
um sie und schlief ein, den Kopf an ihre Schulter gelegt.
    Um drei Uhr morgens versuchte Ruth immer noch, irgendeinen Entschluß zu fassen, was sie tun sollte. Dann fiel ihr, fast
wie eine Antwort auf ein stummes Gebet, plötzlich ExCommissioner Kearney ein, dem sie im Supermarkt schon öfter
begegnet war. Er lächelte immer sehr freundlich und grüßte mit
»guten Morgen«. Einmal, als ihre Einkaufstüte platzte, war er
ihr sogar zu Hilfe geeilt. Sie mochte ihn instinktiv, obgleich sein
Anblick sie daran erinnerte, daß wenigstens ein Teil von Seamus’ Geld im Luxusgeschäft seiner Tochter ausgegeben wurde.
    Die Kearneys wohnten im »Schwab House« in der 74. Straße. Morgen würden sie und Seamus hingehen und bitten, mit dem
Commissioner zu sprechen. Er würde wissen, was sie tun sollten. Sie konnte ihm vertrauen. Mit dem Gedanken: Einem Menschen muß ich vertrauen können, schlief Ruth ein.
Zum erstenmal seit Jahren verschlief sie den Sonntag vormittag. Als sie sich, auf einen Arm gestützt, aufrichtete, um die Zeit
festzustellen, zeigte der Wecker schon auf Viertel vor zwölf. Die
Sonne schien hell durch die schlecht schließenden Rolläden ins
Zimmer. Sie sah auf Seamus hinunter. Im Schlaf verlor er den
verängstigten, besorgten Ausdruck, der ihr so sehr auf die Nerven ging, und seine regelmäßigen Züge zeigten wieder Spuren
des einst gutaussehenden Mannes. Die Töchter sahen dem Vater
ähnlich, dachte Ruth, und sie hatten auch seinen Humor geerbt.
Früher war Seamus witzig und voller Zuversicht gewesen. Doch
dann begann der Abstieg. Die Miete für die Bar war in astronomische Höhen geklettert, die Gegend vornehmer und teurer geworden, und die alten Kunden waren einer nach dem anderen
weggeblieben. Dazu kamen jeden Monat die Alimente.
    Ruth schlüpfte aus dem Bett und ging zum Schreibsekretär.
Unbarmherzig schien die Sonne auf die Schrammen und lädierten Stellen. Ruth versuchte, die Schublade geräuschlos zu öffnen, aber sie klemmte und quietschte. Seamus bewegte sich.
»Ruth.« Er war noch nicht ganz wach.
     
»Bleib liegen«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Ich ruf dich,
wenn das Frühstück fertig ist.«
    Sie wollte eben den Speck aus der Pfanne nehmen, als das Telefon läutete. Die Mädchen riefen an. Sie hatten die Nachricht
wegen Ethel gehört. Marcy, die Älteste, sagte: »Mama, sie tut
uns zwar leid, aber das bedeutet doch sicher, daß Papa jetzt seine Verpflichtungen los ist, nicht wahr?«
    Ruth bemühte sich, ihrer Stimme einen heiteren Klang zu geben. »Es sieht wirklich ganz danach aus. Wir haben uns noch
gar nicht an den Gedanken gewöhnen können.« Sie rief Seamus,
der zum Telefon kam.
    Ruth wußte, welche Anstrengung es ihn kostete, sagen zu
können: »Es ist schrecklich, sich darüber zu freuen, daß jemand
tot ist; aber es ist nicht schrecklich, sich zu freuen, daß eine finanzielle Belastung wegfällt. Aber erzähl mal. Wie geht’s

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