Clark Mary Higgins
Sonntagnachmittag in
den Zoo gingen?«
Der Portier vor dem »Schwab House« sagte ihnen, daß Commissioner Kearney und seine Tochter ausgegangen seien. Zögernd bat Ruth darum, drinnen warten zu dürfen. Eine halbe
Stunde lang saßen sie nebeneinander auf dem Sofa in der Eingangshalle, und in Ruth begannen sich Zweifel zu regen, ob es
wirklich ein weiser Entschluß gewesen war, herzukommen. Gerade wollte sie Seamus vorschlagen, wegzugehen, als der Portier
die Eingangstür für eine Gruppe von vier Personen offen hielt,
die Kearneys und zwei Unbekannte.
Ehe Ruth den Mut sinken ließ, stürzte sie auf sie zu.
»Myles, ich wollte, du hättest ihnen erlaubt, mit dir zu sprechen.« Sie befanden sich in der Küche. Jack bereitete einen Salat zu. Neeve war dabei, die Reste der Spaghettisoße vom Donnerstag aufzutauen.
Myles mixte sehr trockene Martinis für sich und Jack. »Neeve, ich darf mir unmöglich ihre ganze Geschichte anhören. Du
bist Zeugin in dieser Sache. Wenn er mir erzählt, daß er Ethel
bei einer tätlichen Auseinandersetzung getötet hat, bin ich moralisch verpflichtet, es anzuzeigen.«
»Ich bin überzeugt, daß es nicht das ist, was er dir erzählen
wollte.«
»Wie dem auch sei, ich kann dir jedenfalls versichern, daß
Seamus Lambston und seine Frau ein strenges Verhör auf dem
Kommissariat zu erwarten haben. Vergiß nicht, daß Ruth Lambston, falls der kriecherische Neffe die Wahrheit sagt, den Brieföffner gestohlen hat, und du kannst Gift drauf nehmen, daß sie
ihn nicht als Souvenir haben wollte. Ich habe getan, was ich
konnte, nämlich Pete Kennedy angerufen. Er ist ein erstklassiger
Strafverteidiger und wird morgen vormittag mit ihnen sprechen.«
»Und können sie sich überhaupt einen erstklassigen Verteidiger leisten?«
»Wenn Seamus Lambston unschuldig ist, wird Pete unseren
Leuten zeigen, daß sie auf der falschen Fährte sind. Und wenn er
schuldig ist, dann ist Pete jede Summe wert, die er verlangt,
wenn er erreicht, daß Seamus Lambston nicht wegen Mord,
sondern nur wegen Totschlag verurteilt wird.«
Beim Abendessen schien es Neeve, als lenke Jack das Gespräch absichtlich in andere Bahnen. Er befragte Myles über
einige der berühmtesten Fälle seiner Amtszeit, ein Thema, über
das zu sprechen Myles nie müde wurde. Erst beim Abdecken
des Tisches fiel Neeve auf einmal auf, daß Jack über eine Menge Fälle Bescheid wußte, von denen man im Mittleren Westen
bestimmt nie gehört hatte. »Sie haben sich in alten Zeitungen
über Myles orientiert!« sagte sie ihm ins Gesicht.
Er wurde keineswegs verlegen. »Ja, das stimmt. Und nun lassen Sie mal die Töpfe im Spülbecken stehen. Die wasche ich ab,
Sie ruinieren sich die Fingernägel.«
Es ist nicht möglich, dachte Neeve, daß in einer einzigen Woche so viel passiert sein soll. Es kam ihr vor, als sei Jack schon
immer dagewesen. Was tat sich da eigentlich?
Sie wußte, was sich tat. Und plötzlich durchfuhr sie ein eiskalter Schauer. Moses, der das Gelobte Land erblickte und wußte, daß er es nie betreten würde. Warum hatte sie dieses Gefühl?
Warum fühlte sie sich irgendwie deprimiert? Warum meinte sie,
als sie heute das traurige Foto von Ethel betrachtete, darin noch
etwas anderes zu sehen, etwas Verborgenes, als wollte Ethel ihr
sagen: »Warte nur, bis du siehst, wie es ist.«
Was ist es? fragte sich Neeve.
Der Tod.
Die Zehn-Uhr-Nachrichten brachten eine Menge weiterer
Einzelheiten über Ethel. Jemand hatte in aller Eile einen Bericht
über ihr Leben zusammengestellt. Es fehlte den Medien an anderen Neuigkeiten, so daß Ethels Geschichte ein Vakuum füllte.
Die Sendung war kaum zu Ende, als das Telefon klingelte. Es
war Kitty Conway. Ihre helle, fast musikalische Stimme klang etwas hastig. »Neeve, es tut mir leid, Sie zu stören. Ich bin eben erst
nach Hause gekommen. Als ich meinen Mantel weghängte, habe
ich gesehen, daß Ihr Vater seinen Hut im Garderobenschrank vergessen hat. Da ich morgen am späteren Nachmittag in die Stadt
komme, könnte ich ihn vielleicht irgendwo für ihn abgeben.«
Neeve war verwundert. »Einen Augenblick, ich hole ihn
rasch.« Als sie Myles den Hörer reichte, murmelte sie: »Du vergißt doch sonst nie etwas. Was bahnt sich da an?«
»Oh, die reizende Kitty Conway.« Myles schien hocherfreut.
»Ich fragte mich schon, ob sie den verflixten Hut wohl je finden
würde.« Als er den Hörer wieder auflegte, blickte er Neeve betreten an. »Sie kommt morgen gegen sechs Uhr vorbei. Dann
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