Claudius Bombarnac
nicht, daß sich das chinesische Turkestan von dem russischen wesentlich unterscheidet. Wir sind hier nicht im Lande der Pagoden, der Dschonken, der Blumenschiffe, Yamens, Hongs oder der Porzellanthürme. Ganz wie Bukhara, Merv und Samarkand ist auch Kaschgar eine Zwillingsstadt. Es verhält sich mit diesen Ortschaften Centralasiens wie mit gewissen Doppelsternen – nur daß sie einander nicht umkreisen.«
Diese Bemerkung des Majors ist ganz richtig. Jetzt ist die Zeit vorbei, wo die Emire in Kaschgarien herrschten, wo die Monarchie Mohammed-Yakub’s ganz Turkestan in der Gewalt hatte, wo die Chinesen, die daselbst zu bleiben beabsichtigten, ihren Glauben an Buddha und Confucius abschwören und dafür Mohammedaner werden mußten, wenn sie ihr Leben gesichert sehen wollten. Leider kommen wir jetzt an des Jahrhunderts Ende für Alles zu spät, und die Wunder des asiatischen Kosmoramas, die merkwürdigen Sitten und Gebräuche, die Meisterwerke asiatischer Kunst sind nur noch in der Erinnerung oder in Ruinen vorhanden.
Die Eisenbahnen drücken das Land noch auf ein allgemein gleiches Niveau hinab – damit wird die Gleichheit, vielleicht auch die Brüderlichkeit, ihren Einzug halten. In der That ist Kaschgar schon gar nicht mehr die Hauptstadt Kaschgariens, sondern nur noch eine Station der Groß-Transasiatischen Bahn, der Verbindungspunkt zwischen den russischen und den chinesischen Linien, das eiserne Band, das vom Caspisee bis zu dieser Stadt mehr als dreitausend Kilometer mißt und sich von hier aus noch um weitere viertausend bis zur Hauptstadt des Himmlischen Reiches fortsetzt.
Ich komme jetzt auf die Doppelstadt zurück. Die neue ist Yangi-Chahr; die alte, gegen zwölf Kilometer entfernt liegend, ist das eigentliche Kaschgar. Ich fand Gelegenheit, beide zu besuchen, und muß sagen, daß eine der andern würdig ist.
Erste Beobachtung: die alte und die neue Stadt sind mit einer erbärmlichen Lehmmauer eingefaßt, die ihnen gerade nicht zum Vortheil ist. Zweite Beobachtung: vergeblich würde man irgend welche alte Baudenkmäler suchen, denn das Material, das dazu verwendet wurde, war für Paläste und Hütten das nämliche. Nichts als Lehm, und nicht einmal gebrannter! Bei solchem an der Sonne gedörrten Schlamme aber erhalten sich keine regelmäßigen Linien, keine reinen Profile, keine sein ausgearbeiteten Sculpturen. Die schöne Architektur braucht Stein oder Marmor, gerade diese fehlen aber im chinesischen Turkestan völlig.
Ein kleiner, rasch dahinrollender Wagen hat uns, den Major und mich, nach Kaschgar befördert, das einen Umfang von etwa sechs Kilometern hat. Der Kizil-Su, das heißt der »Rothe Fluß«, der jedoch weit mehr ein gelber ist, wie sich das für einen chinesischen Wasserlauf geziemt, durchströmt dasselbe mit zwei überbrückten Armen. Will man einige interessantere Ruinen aufsuchen, so muß man sich ein Stück weiter über die Stadtmauer hinaus begeben, wo sich noch Ueberreste alter Festungswerke vorfinden, die je nach der Einbildungskraft der Archäologen fünfzehnhundert bis zweitausend Jahre alt sind. Viel mehr außer Zweifel ist, daß Kaschgar den furchtbaren Ansturm Tamerlan’s hat aushalten müssen, und gestehen wir es nur zu, ohne die Unternehmungen des schrecklichen Hinkers würde die Geschichte Centralasiens höchst eintönig und langweilig sein. Nach jener Zeit regierten hier manche grausame Sultane – unter andern jener Uali-Khan-Tulla, der 1857 Schlagintweit, den gelehrtesten und kühnsten Forscher des asiatischen Festlandes, erdrosseln ließ. Zwei Bronzetafeln, Geschenke der geographischen Gesellschaften von Paris und von St. Petersburg, schmücken jetzt sein Denkmal.
Kaschgar ist ein wichtiger Platz für den Handel, der fast gänzlich in den Händen der Russen liegt. Seidenzeuge aus Khotan, Baumwolle, Filze, Wollenteppiche und Tuche bilden die Hauptartikel, die nach den Provinzialmärkten geschafft werden, doch zwischen Taschkend und Kulha selbst, auch über die Grenze nach dem Norden von Turkestan zur Ausfuhr gelangen.
Nach Mittheilungen des Majors ist es hier, wo Sir Francis Trevellyan ganz besonders Ursache gehabt hätte, seiner übeln Laune Luft zu machen. In den Jahren 1873 bis 1874 wurde nämlich eine von Chapman und Gordon geführte Gesandtschaft über Khotan und Yarkand von Kaschmir nach Kaschgar geschickt. Jener Zeit konnten die Engländer hoffen, daß sich Handelsbeziehungen zu ihrem Vortheile entwickeln würden.
Der Bruch der Kuppelung ist nicht auf
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