Claudius Bombarnac
abgemacht wurde, ist mir davon doch eine deutliche Erinnerung geblieben.
Zunächst also giebt es hier eine äußere und eine innere Stadt – diesmal auch keine Ruinen. Der Ort sehr lebhaft, die Bewohner geschäftig und sehr fleißig; durch die Eisenbahn mit der Anwesenheit von Fremden vertraut, verfolgen sie diese nicht mehr mit der früheren zudringlichen Neugier. Weitgedehnte Stadttheile bedecken das Land zur Rechten des hier zwei Kilometer breiten Huan-Ho. Dieser Huan-Ho ist der Gelbe Fluß, der berühmte Gelbe Fluß, der nach viertausendfünfhundert Kilometer langem Laufe sein lehmiges Wasser in den Golf von Petchili ergießt.
»An der Mündung des Huan-Ho, nahe bei Tien-Tsin, muß der Baron ja wohl den Dampfer nach Yokohama besteigen? fragt der Major Noltitz.
– Ganz recht, hab’ ich zur Antwort gegeben.
– Den versäumt der Mann bestimmt, meint unser Bühnenkünstler.
– Wenigstens wenn er nicht einen kleinen Galopp einlegt, der Erdumsegler!
– Alte Frauen und fette Männer galoppiren nicht lange, wie man zu sagen pflegt, bemerkt Herr Caterna, und der vierschrötige Baron trifft nicht zu rechter Zeit ein …
– O doch, wenn der Zug keine weitere Verspätung erleidet, erklärt der Major. Wir werden am 23. um sechs Uhr Morgens im Bahnhofe von Tien-Tsin eintreffen und das Packetboot verläßt den Hafen erst um elf Uhr.
– Mag er den Dampfer versäumen oder nicht, liebe Freunde, hab’ ich hinzugefügt, jedenfalls wollen wir unsern Spaziergang nicht versäumen!«
In Lan-Tcheu führt eine Schiffbrücke über den Gelben Fluß, der hier eine so rasche Strömung hat, daß die Brückenbahn wie von kräftigem Seegange schwankt. Frau Caterna, die unbedacht diese unsichre Bahn betreten hat, verliert plötzlich alle Farbe.
»Caroline … Caroline … ruft ihr Gatte, Du willst Dir wohl die leibhaftige Seekrankheit holen! Komm, bugsire Dich rückwärts, lootse Dich heim!«
Frau Caterna »bugsirt« sich rückwärts, und wir Andern begeben uns nach einer über die Stadt aufragenden Pagode.
Gleich allen Bauten dieser Art gleicht diese Pagode einer hohen, aus lauter Compotschalen zusammengesetzten Säule; diese Compotschalen sind aber von ansprechender Form, und wenn sie aus chinesischem Porzellan bestehen, so ist das hier am Ende nichts so Wunderbares.
Gesehen haben wir auch, doch ohne hineinzukommen, große Fabriksanlagen, eine Kanonengießerei und eine Gewehrfabrik mit ausschließlich einheimischen Technikern und Arbeitern. Ferner durchwanderten wir einen zum Hause des Gouverneurs gehörigen schönen Garten mit den landesüblichen, wunderlichen Brücken, Kiosken, Vasen und topfartigen Thoröffnungen. Hier gab es mehr Lusthäuser und gebogene, unten aufgekrämpelte Dächer als Bäume und Gesträuche, und zwischen den Untergrundresten der Großen Mauer zogen sich mit Backsteinen belegte Gänge hin.
Zehn Minuten vor zehn Uhr sind wir wieder auf dem Bahnhofe eingetroffen – freilich sehr erschöpft, denn der Spaziergang war recht anstrengend, und ganz außer Athem, denn es herrschte drückende Hitze.
Meine erste Sorge ist es jetzt, nach dem Millionen-Wagen Umschau zu halten. Er steht richtig noch auf seinem Platze als vorletzter des Zuges und unter Bewachung durch chinesische Gendarmen.
Die vom Gouverneur erwartete Depesche ist eingelaufen: sie bringt den Befehl, genannten Waggon nach Peking abgehen zu lassen, wo der Schatz dem Minister der Finanzen ausgeliefert werden soll.
Wo steckt denn der Seigneur Farnsklar? … Ich sehe ihn nicht. Sollte er sich von der Reisegesellschaft getrennt haben? …
Nein … richtig … da steht er ja auf einer der Plattformen, und die Mongolen haben ihren Wagen bereits wieder bestiegen.
Fulk Ephrjuell hat einige Geschäftsgänge besorgt – jedenfalls um Muster seiner Waare vorzulegen, und Frau Ephrjuell hat ebensolche, aber allein, abgemacht, wahrscheinlich um etwas von Haaren einzuhandeln. Beide kommen in diesem Augenblicke zurück und nehmen die gewohnten Plätze ein, doch so, als ob sie sich gar nicht kennten.
Die übrigen Mitreisenden sind lauter Chinesen – die Einen mit der Bestimmung nach Peking, die Andern mit Billets nach den Stationen Si-Ngan, Ho-Nan, Lon-Ngan, Taï-Yuan u.s.w. Der Zug mag jetzt gegen hundert Fahrgäste zählen; alle meine Nummern sind zur Stelle. Es fehlt keine oder keiner … dreizehn, immer dreizehn.
Wir befanden uns auf der Plattform noch in dem Augenblicke, als das Abfahrtszeichen gegeben wurde. Da fragt Herr Caterna seine liebliche
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