Claustria (German Edition)
Badezimmer am anderen Ende der Welt falsch angeschlossen wäre.
Fritzl brachte gerade einen Journalisten des Daily Mirror zur Haustür, der lange geblieben war. Hinter sich versperrte er das Dreipunktschloss. Er ging wieder in die Wohnung, ganz benommen von seiner Bekanntheit, die bereits die Landesgrenzen überschritt.
Die Kinder sahen sich die gierigen Kandidaten einer Spielshow an, die am Strand Heuschrecken brieten. Eine Stimme aus dem Off erinnerte daran, dass der Sieger eine Kreuzfahrt gewann.
,,Schleicht euch!“
Die Kinder verschwanden, wobei sie recht und schlecht den Tritten auswichen, die Fritzl ihnen automatisch verpasste. Er setzte sich in seinen speckigen Ledersessel mit den Abdrücken, die sein Hintern in all den Jahrzehnten hinterlassen hatte. Er zappte durch die Kanäle und hoffte, sich auf dem Bildschirm zu sehen.
Bei der ersten Störung schlug er auf den Apparat. Das Bild verschwand geräuschvoll, kam dann wieder und verschwand erneut. Eine Art Morsecode. Fritzl legte den Zeigefinger an die Lippen. Nach reiflicher Überlegung schaltete er das Gerät aus und verließ hastig das Wohnzimmer.
Außer Atem kam er im Keller an. Angelika erwartete ihn direkt hinter der Schleuse. Von dem Medienaufruf hatte er nichts mitbekommen, er glaubte ihr nicht.
,,Er wird sicherlich in den nächsten Nachrichten wiederholt.“
,,Bei uns hätte sie eine bessere Pflege bekommen.“
Bei uns. Ein liebevoller, entsetzlicher und düsterer Begriff, mit dem Fritzl den Keller oft bezeichnete.
,,Jedenfalls kommt es überhaupt nicht infrage, dass du dort hingehst.“
Er setzte sich an den Tisch.
,,Bring mir was zu essen.“
Angelika holte Mortadella und eine Schüssel Kartoffelsalat aus dem Kühlschrank. Er aß schweigend. Kein Bier. Seit Monaten schon versuchte er, das Gewicht der Einkäufe zu reduzieren. Erst hatte er die Flaschen mit Frischmilch durch Milchpulver ersetzt, dann Orangensaft und Cola für die Kinder abgeschafft, danach Angelikas Wein und zuletzt sein Bier. Dennoch nahm er immer zwei Dosen in den Jackentaschen mit nach unten, wenn er sonst nichts zu tragen hatte.
Aus Faulheit ließ er auch oft den Müll anwachsen, obwohl er Ratten anzog.
Er hatte aufgegessen. Nun interessierte er sich für seine schönen Nägel, die er sich zwei Tage zuvor bei der Maniküre hatte richten lassen. Ein gepflegter Mann, dem seine Schwägerin eines Abends im Mai 2003 einen schweren Schlag versetzt hatte, nachdem er zu ihr gesagt hatte:
,,Du bist genauso fett wie Anneliese. Ihr beide seht zusammen aus wie ein Paar Kühe.“
Sie war vom Sofa aufgesprungen, hatte sich auf ihre kurzen Beine gestellt und ihn mit sprühendem Speichel beschimpft:
,,Und du bist ein Kahlkopf!“
Fritzl war so verdattert gewesen, dass er nicht die Kraft gehabt hatte, sich zu regen, geschweige denn, ihr zu antworten. Am nächsten Tag hatte er alle Termine in Wien abgesagt und sich notfallartig zu einem Hautarzt begeben. Drei Wochen später war die Schmach mit einer Haartransplantation beseitigt.
Beim Prozess zeigte er Haar, Strähne für Strähne pomadisiert und sorgfältig gelegt, damit sie die rosa Stellen verbargen, die der Arzt nicht hatte bepflanzen können. Er musste in seiner Zelle jeden Tag eine Stunde damit zugebracht haben, sich aus der Erinnerung heraus zu frisieren, denn ein Spiegel war ihm verweigert worden, damit er sich nicht mit einer Glasscherbe die Pulsadern aufschnitt.
Angelika schnitt Karotten. Im Topf köchelte schon eine Brühe, in die sie das Gemüse zusammen mit einer Schweinelende geben würde. Das Gericht würde den ganzen Abend schmoren, zum Mittagessen würde sie es aufwärmen. Die Kinder lümmelten auf dem Bett herum und sahen mit offenem Mund fern, wie um die Welt besser in sich aufzunehmen. Fritzl legte sich neben sie. Er stieß Martin weg, der auf allen vieren davonstob, und legte sich an seinen Platz, Romans Kopf auf seinem Bauch.
Er wartete, bis die Wahrheit aus der Kathodenröhre drang. Mehr denn je bereute er es, dem Keller dieses Privileg zugestanden zu haben. Die Nachrichten untergruben seine Macht und konkurrierten mit seinen Worten. Er sagte sich, dass er das Antennenkabel schon lange hätte kappen sollen – der Videorekorder war völlig ausreichend für die Entfaltung ihrer Paarbeziehung.
Sollte sich herausstellen, dass Angelika nicht gelogen hatte, würde er davon absehen zu behaupten, der Auftritt des Arztes sei eine Halluzination gewesen, die Spiegelung eines Bildes, der Widerhall einer Stimme aus
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