Claustria (German Edition)
vorbeigekommen.“
Und er schlich sich wieder davon wie ein Dieb.
Bei Fritzls Rückkehr aus dem Spital wagte Anneliese einen fragenden Blick. Er hatte sie seit 2003 nicht mehr geschlagen; damals hatte sie auf eine Schachtel Viagra gedeutet, er hatte sie in der Tasche eines Hemds vergessen, das Anneliese in die Waschmaschine stecken wollte. Er, der sich vor der Familie immer damit brüstete, bei einem hypothetischen Vögel-Wettstreit, ausgerichtet von einem Sportverein, der erst noch gegründet werden müsste, mit seiner Potenz jeden jungen Mann auszustechen.
Ein-, zweimal im Jahr nahm er Anneliese mit in den Swinger-Club, der in den Neunzigerjahren in der Nähe des alten Amstettener Bordells eröffnet worden war, und auf einmal wurde ihr klar, dass sein erigierter Schwanz seine Härte dem pharmazeutischen Fortschritt verdankte. Er nahm sie nur mit, um den kostspieligen Zuschlag zu sparen, den Einzelherren bezahlen müssen. Im Halbdunkel sah sie, wie er im Adamskostüm bei allen Frauen sein Glück versuchte, um einen geblasen zu bekommen. Die Frauen wichen zurück, wenn sein Glied ihrem Mund zu nahe kam.
Anneliese, im Sonntagskleid, langweilte sich den ganzen Abend vor ihrem Schnapsglas. Fritzl verließ das Etablissement begeistert und stolz, sich an all diesen Frauen gerieben zu haben, die sicherlich fassungslos von diesem Alten waren, der so stramm war wie ein Pornodarsteller.
Wie eine beharrliche Frage wanderte Annelieses Blick von der Viagra -Schachtel zum Gesicht ihres Mannes. Eine wortlose, scharfe Antwort: nur das Geräusch seines Handrückens auf ihrem Gesicht. Schweigend widmete sie sich wieder ihrer Wäsche. In manchen Teilen Österreichs wagen die Frauen es nicht einmal, aufzustöhnen, wenn sie geschlagen werden.
An diesem Tag spürte Fritzl, wie seine Hand sich verkrampfte, aber er steckte sie in die Tasche, damit sie nicht zitterte. Er hielt lediglich Annelieses Blick stand, sie senkte den Kopf.
,,Ich will Kaffee.“
Er trank seine Tasse aus, schüttelte sich, um ihr zu zeigen, dass der Kaffee nur lauwarm gewesen war.
,,Ich hätte ihn in der Mikrowelle aufwärmen sollen.“
Er verließ den Raum.
Fritzl erachtete es nicht für nötig, Tabletten einzunehmen, um Angelika zu vögeln. Er hatte die Angewohnheit, sich in ihrem Mund zu erleichtern, und es war ihm herzlich egal, ob sein Glied steif genug war, um in sie einzudringen.
Frustriert machte sie ihm Szenen.
Er gab ihr eine Ohrfeige. Sie fixierte ihn.
,,Das bist du mir schuldig.“
Schließlich gab er nach. Jeden Freitagabend nahm er eine Pille, bevor er hinunterging.
Er ging zu Angelika in den Keller. Ein nervöser Strubbelkopf von einer Frau, offener Mund, bereit, seine Worte zu verschlingen, als würden die Buchstaben, aus denen sie bestanden, in festem Zustand herauskommen wie Scrabble -Steinchen.
Die Kinder saßen am Küchentisch. Vor ihnen standen leere Teller mit Eigelbklecksen. Reglos sahen sie ihn an, brav wie Kindersoldaten auf Fotos.
Er machte den Mund auf. Friedvolle Sätze wie Boote auf einem Meer aus Öl.
,,Ich habe mit Petra gesprochen. Sie fühlt sich besser. Sie wollte schon wieder gehen, aber die Ärzte haben es nicht erlaubt. Sie haben ihr auch das Gebäck nicht gegeben. Sie hustet noch ein bisschen, aber sie ist schon auf dem Weg der Besserung. Sie wollen sie zur Beobachtung dort behalten. Ich hole sie heute Nacht heimlich da raus. Keine Sorge, sie kann auf eigenen Beinen gehen. Deine Mutter hilft mir, sie herunterzubringen.“
Normalerweise knauserte er mit Worten. Dieser Überschwang beunruhigte Angelika.
,,Hast du sie umgebracht?“
Die Frage wurde ohne jede Streitlust gestellt. Es war eine vorübergehende Resignation – den Tod als das kleinere Übel akzeptieren. Eine Familie auf dem Weg zur Auslöschung, die sich nicht die Mühe machen müsste, die Welt zu verändern.
Er schüttelte den Kopf.
,,Sie ist im Spital.“
Im Grunde rechnete Angelika nicht mit Mord. Denn dann hätte er verlangt, dass sie ihm hilft. Früher walteten Henker nie ohne Gehilfen ihres Amtes. Sie fürchtete, er könnte Petra vielleicht im Wald ausgesetzt haben wie einen alten Kühlschrank. Aber er hätte zu große Angst gehabt, dass die Polizei ermittelt und schließlich DNS-Proben von den Leuten in der Gegend nimmt, um Angehörige der Leiche zu finden. Im Fernsehen hatte Angelika gesehen, dass man nun mit Genanalysen arbeitete.
,,Geht es ihr gut?“
Als stellte sie sich vor, man würde wiederauferstehen, sobald man durch die Tür des
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