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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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anderen Seite des Schranks war die erste Schleuse, die erste Grenze, hinter der nach einem Niemandsland das winzige geschlossene Reich des Kellervölkchens lag.
    ,,Es war eine zweite Familie, aber dennoch war es eine Familie.“
    Ein Glaubensbekenntnis, das er vor den Ermittlern wiederholte wie eine Ruhmestat. Ein Keller wie eine Spielzeugtruhe. Zu Beginn hatte er die große Zauberpuppe dort hineingeworfen, und sie brachte aus ihrem Bauch außergewöhnliche Marionetten hervor, die wuchsen wie richtige Kinder, wenn man ihnen Nahrung gab.
    Die Puppe, die immer auf erneute Mutterschaft hoffte und auch noch nach Martins Geburt jedes Einsetzen ihrer Monatsregel als ein Scheitern erlebte. Fritzl konnte das Kindergeschrei nicht mehr ertragen, das durch die Nacht hallte, immer neue, unersättliche Mäuler, sie kosteten ihn Geld und machten die Einkaufstaschen schwer, die er durch das Labyrinth schleppen musste wie eines dieser Zugpferde, die früher Kohle aus den Minen ziehen mussten. Es sei denn, er war gezwungen, diejenigen nach oben zu schaffen, deren Gejammer so gellend war, dass es nicht mehr lange als Echo durchgegangen wäre.
    Er hatte nicht mehr die Kraft für dieses Sklavendasein. Er war sogar geneigt, Roman zu opfern, damit er diese Spielsachen, die ihm keinen Spaß mehr machten, nicht mehr ernähren musste. Er hätte diesen Familienzweig, der ihm das Leben verdankte, vergiften können. Ein Schuss Strychnin in die Wasserleitung, die den Keller versorgte. Ausgerechnet er, der sich immer geweigert hatte, ihnen Rattengift zu bringen.
    ,,Es sind kluge Tiere, sie verdienen es nicht, zu sterben.“

Beim Abräumen nach dem Mittagessen traute Anneliese sich, ihm eine Frage zu stellen.
    ,,Kann ich sie besuchen?“
    ,,Wen?
    Schweigend schlug sie die Augen nieder.
    ,,Hast du nichts anderes zu tun, als dich im Spital rumzutreiben?“
    Langsam verließ sie den Raum, um ihn mit ihrer Anwesenheit nicht noch mehr zu reizen.
    Fritzl versuchte sich zu beruhigen. Selbst wenn Petra überlebte, würden ihre Schilderungen klingen wie Symptome, die eine Diagnose auf Schizophrenie nahelegten. Man würde sie in eine Anstalt stecken, wo die Ärzte sie nach jahrelanger Behandlung aufgeben würden. Neuroleptika würden verhindern, dass sich ihre Erinnerungen zu oft in ihr Bewusstsein stahlen, würden sie langsam verblassen und verstummen lassen und sie zerfressen wie Motten. Eines Tages würde Petra mit einem Gehirn, das so ausgetrocknet war wie ein Büschel Heu, sterben, nachdem sie sich ihrer Existenz schon lange nicht sehr viel mehr bewusst gewesen war als ein Säugling oder ein Esel.
    Vielleicht würde sie einem neuen Syndrom ihren Namen geben. Allerdings behaupten nur wenige Menschen, unter der Erde geboren zu sein, und da man diese Diagnose nicht anwenden könnte, würde man das Syndrom gleich nach seiner Entdeckung auch schon wieder vergessen. Außerdem würde Petra fernab ihrer Mutter und des Kokons so schnell eingehen wie diese Prolarven, die nicht kräftig genug sind, um zu Libellen heranzuwachsen.
    Gegen fünfzehn Uhr ging Fritzl ins Spital. Er wurde im Sprechzimmer des Primars empfangen. Eine schnelle Unterredung mit diesem unwirschen Mann, der unbedingt wissen wollte, wo Angelika war.
    ,,Sie war ihr Leben lang auf der Flucht.“
    Er lächelte.
    ,,Das Überleben des Mädchens steht auf dem Spiel.“
    Jäh stand er aus dem Sessel auf und zog Fritzl durch die Gänge. Hinter einer großen Scheibe sah Fritzl Petra in einem kurzen Krankenhauskittel aus grünem Papier und an Schläuche angeschlossen. Er konnte seinen Blick nicht von den Kontrollmonitoren nehmen. Er hätte sich gern deren Funktion erklären lassen oder sie – warum nicht? – selbst auseinandergenommen, um zu sehen, welche Mikrochips sich im Gehäuse verbargen.
    ,,Die Prognose ist wirklich verheerend.“
    Fritzl zog seinen BlackBerry aus der Tasche. Er wollte ein Foto von Petra machen, um es Angelika zu zeigen und ihr zu beweisen, dass ihre Tochter nun in guten Händen und nicht mehr in Gefahr war. Er erdreistete sich tatsächlich, den BlackBerry herauszuziehen.
    ,,Ich würde gern ein letztes Bild von ihr machen. Als Andenken für ihre Mutter.“
    ,,Sie gehen jetzt. Gehen Sie!“
    Fritzl schenkte ihm ein verständnisheischendes Lächeln, aber der Chefarzt wollte davon nichts wissen. Er schob ihn in den Gang. Fritzl erklärte den Ermittlern später, dass er mit Tritten in den Hintern aus dem Spital gejagt worden sei.
    Er war enttäuscht, dass sich das Kamerateam des

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