Claustria (German Edition)
das Haus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er ging zum Hauptplatz, wo er das Flughafen-Shuttle nahm. Die Kofferrollen rumpelten über den unebenen Gehweg, sein Hawaiihemd leuchtete in der Sonne.
Angelika folgte ihm in großem Abstand, sie sah ihn an der Bushaltestelle mit einem wartenden Paar mit bunten Strohhüten reden. Sie blickte dem Bus nach, der ihn wegbrachte. Diese Riesenfreude, ihn weit weg zu wissen. Und die Hoffnung, sein Flugzeug möge abstürzen. Der Inzest würde sich beim Aufprall zusammen mit dem Täter und der Tatwaffe verflüchtigen.
Zehn Tage Zusammenleben. Ein junges, sorgloses Paar, das von Popcorn lebte. Jede Nacht nach Feierabend Party. Literweise Bier auf den Terrassen der Wirtshäuser, die bis in die Puppen geöffnet hatten, um den Ortsansässigen, die keinen Urlaub hatten und nach einem heißen Tag Kühlung suchten, die Taschen zu leeren. Spritztouren mit dem Motorrad, nachdem auch das letzte Lokal schloss. Fahrten aufs Land, bei Sonnenaufgang in einem See baden. Um vierzehn Uhr wieder die Arbeit aufnehmen, ohne geschlafen zu haben.
Am Abend vor Fritzls Rückkehr war das Haus voller Freunde, Bekannte, Leute, die von der Musik, dem Licht, dem Lachen angezogen worden waren. Der Alkohol floss durch die Kehlen der bereits betrunkenen Körper, Pärchen verzogen sich auf die Zimmer, ein Grüppchen einsamer junger Männer trampelte ins Erdgeschoss hinunter und hämmerte an die Türen der Apartments.
Die wenigen Mieter, die nicht im Urlaub waren, fluchten im Bett. Wenn sie aufstanden und die Tür öffneten, waren die Burschen schon verschwunden und in den Pool gesprungen. In ihrem Suff wünschten sie sich, im Wasser zu treiben wie Eiswürfel in einem Curaçao-Cocktail.
Angelika und Thomas wachen zu Mittag mit dem Kopf am Hintern eines anderen auf. Ein unbekanntes Paar liegt bei ihnen im Bett. Im Sessel ist ein junger Mann eingeschlafen, ein anderer liegt auf drei Polstern zusammengerollt auf dem Boden. Leere Flaschen, halb volle Bierkisten, Zigarettenstummel in Gläsern, Schüsseln, auf Tellern, auf dem Boden ausgedrückt.
Sie gehen von Zimmer zu Zimmer, erkennen Freunde, an deren Namen sie sich nicht mehr erinnern, Fremde, die sie irgendwo getroffen haben, und drei Körper unbestimmten Geschlechts, die bäuchlings in einem Knäuel im Ehebett der Fritzls liegen.
Um vierzehn Uhr waren auch die Verkatertsten durch ein paar Rippenstöße wach geworden und gegangen, während sie sich im hellen Licht blinzelnd gefragt hatten, wieso sie in einem so miesen Zustand dieses Haus verließen, dabei konnten sie sich gar nicht erinnern, es überhaupt betreten zu haben.
Das Liebespaar machte Großputz. Aber die Wunden an Möbeln, Teppichen, Wänden würden nie vernarben. Der Gestank von Tabak, Alkohol, Dope, Männern, Frauen, Sex verzog sich trotz offener Fenster nicht.
Sie stellten den Kühlschrank wieder auf, der umgekippt war, die Tür ging nicht mehr ganz zu, trotz des Hockers, den sie davorstellten, damit sie nicht ganz aufschwang. Jemand hatte das Beistelltischchen im Wohnzimmer weggekickt, ein anderer den unteren Teil der Anrichte – es sei denn, es wäre derselbe gewesen. Oder es war eine kurzfristig gebildete Fußballmannschaft, die zwischen den Sesseln umhergedribbelt war, bevor sie sich auf den Plattenspieler geworfen hatte, dessen alleinige Funktion darin bestand, eine Walzerplatte abzuspielen, die sich als Einzige seit der Ankunft des Geräts vor Ort am 22. Dezember 1966 auf dem Plattenteller drehen durfte.
Fritzl weckte Angelika nicht mit einem Faustschlag in den Bauch, als er um fünf Uhr früh von seinem Marokko-Urlaub zurückkam. Gebräunte Arme, Hals und Gesicht aber waren so rot, dass man meinen konnte, die Sonne Agadirs hätte ihm die ganze Zeit Ohrfeigen verpasst, die Annelieses harter Hand würdig waren.
Seinen Rollkoffer stellte er vor dem Schrank ab, in den Anneliese damals beim Geburtstag den Wein der jungen Leute eingeschlossen hatte. Fritzl schnupperte den Atem der Räume, er schlenderte durch die Zimmer, in die das Licht der aufgehenden Sonne fiel, und warf bohrende Blicke auf jeden unauslöschlichen Fleck, jede noch so winzige Beschädigung. Seine Retina schickte ihm die Bilder nacheinander durch den Sehnerv in sein Betongedächtnis.
Er packte seinen Koffer aus, räumte seine makellose Wäsche auf, die er vor seiner Abreise von der Hotelwäscherei hatte reinigen und bügeln lassen. Er ging ins Bad, um sich schön zu machen. Er pomadisierte sein noch immer schwarzes Haar
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