Claustria (German Edition)
der Ferien Urlaub machen. Was meinst du?“
,,Ich weiß nicht …“
,,Hab ein bisschen Spaß! Ich glaube, deine Mutter und ich waren zu streng zu dir.“
Er strich ihr durchs Haar.
,,Du hast bald Geburtstag. Dann bist du frei wie ein Vogel. Warte mit der Feier nicht bis August, denn dann sind alle deine Freunde in den Ferien.“
Kein Fritzl-Kind hatte jemals Freunde in dieses ungastliche Haus einladen dürfen. Angelika hielt diesen Vorschlag also für eine Falle, einen Trick, damit ihr Vater einen Vorwand hätte, sie zu bestrafen, sollte etwas kaputtgehen.
Am nächsten Tag wiederholte Fritzl seinen Vorschlag. Anneliese empörte sich.
,,Die machen doch alles kaputt! Außerdem hat Angelika das gar nicht verdient!“
Er hob den Finger zum Zeichen, dass sie schweigen sollte. ,,Du hilfst ihr bei den Vorbereitungen.“
Anneliese hielt den Mund. Er hatte sie schon einmal vor der ganzen Familie geschlagen, sie hatte sich gedemütigt gefühlt und in den folgenden Wochen gemeint, sie müsse bei den Kindern die Zügel anziehen, um ihnen zu zeigen, dass sie ihr trotz allem gehorchen mussten.
Knauserig machte Anneliese Besorgungen: Fruchtsaft im Tetrapack, Zweiliterflaschen eines sprudelnden Getränks, das wie Coca Cola schmecken sollte, kiloweise Mehl, Zucker, vierundzwanzig Eier, ja sogar eine versilberte Geburtstagskerze, in die ,,18“ eingraviert war.
Anneliese, der Roboter, der nicht mehr stillstand, sobald ihr Mann den Knopf gedrückt hatte. Sie knetete Teig, schob den rechteckigen Kuchen ins Backrohr und zog ihn heraus – die Form war wirtschaftlicher, denn so konnte sie ohne Platzverlust das ganze Backblech nutzen und im Ofen drei Bleche übereinanderschieben. Insgesamt neun Kuchen – drei mit Schokolade-, drei mit Vanille- und drei mit herzhafter Wurstfüllung, um den Reigen vor dem üppigen Dessert zu eröffnen.
Angelika sah zwar die vielen Kuchen im Kühlschrank, glaubte aber immer noch nicht, dass das Ganze wahr sein könnte. Fritzl hatte den 29. Juli als Festdatum festgelegt. Angelika hatte noch niemanden eingeladen. Immer wenn er sie fragte, wer denn kommen würde, starrte sie stammelnd auf ihre Schuhe, ihren Teller.
Am Abend des 27. fragte er sie wieder vergebens und wandte sich dann an Anneliese.
,,Du machst das.“
,,Das ist doch ihre Aufgabe!“
,,Du machst das.“
Am nächsten Morgen suchte Anneliese im Telefonbuch die Nummern der Mitschüler ihrer Tochter heraus – sie waren auf dem Klassenfoto des Gymnasiums abgebildet, das Angelika bis zum Jahr zuvor besucht hatte.
Angelika sah, wie Anneliese sich in den Hausflur setzte, den Hörer des alten Apparats mit Wählscheibe abnahm und sich daranmachte, die ganze Liste abzutelefonieren. Da wurde ihr klar, dass das Fest wirklich stattfinden würde. Sie wurde rot vor Scham, als sie sich diesen Trupp vorstellte, den ihre Mutter einlud wie zu einem Kindergeburtstag.
,,Lass nur, ich rufe alle an.“
Sie wollte den Hörer nehmen, aber Anneliese ließ ihn nicht los.
,,Ich soll das machen, hat dein Vater gesagt.“
Es kam zum Kampf.
Anneliese rief ihren Mann an und fragte, ob er seinen Befehl revidieren würde. Er war einverstanden. In aller Eile lud Angelika ein Dutzend Freunde beider Geschlechts ein.
Ein frostiger Geburtstag. Die Mutter spielte den Wachhund, sie patrouillierte zwischen Küche und Wohnzimmer und beobachtete alle, die auf den Gang und auf die Toilette gingen, aus dem Augenwinkel.
Ein Kassettenrekorder auf einem Regal tat sein Bestes, um das Stimmengewirr zu übertönen. Anneliese fand den Lärm ohrenbetäubend und stellte ihn ab.
Die Jugendlichen beklagten sich über den fehlenden Alkohol.
,,Wenn es wenigstens Bier geben würde!“
Einige waren mit einer Weinflasche angekommen, Anneliese hatte sie geschnappt und in der Anrichte eingeschlossen.
,,Ich gebe sie euch zurück, wenn ihr wieder geht.“
Auch Thomas war dabei. Wie der Herr des Hauses schnitt er Kuchen auf und holte Getränke aus dem Kühlschrank. Er zündete auch die Kerze an, Angelika blies sie aus. Die drei jungen Leute, die noch geblieben waren, klatschten. Die anderen waren schon weg, ihren Wein hatten sie mitgenommen, um ihn auf der Straße zu trinken.
,,Für dich.“
Thomas zog ein Geschenk aus der Tasche. Angelika klappte das Etui auf und umarmte Thomas schweigend und mit geschlossenen Augen. So konnte sie sich besser die strahlende Zukunft ausmalen, die dieser versilberte Verlobungsring verhieß. Als sie vierundzwanzig Jahre später aus dem Keller kam,
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