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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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Zimmer, mit niedriger Decke, das sich aber durch die Gitterstäbe des Fensters zum Hof in die Unendlichkeit öffnet, winzig wie der Landepunkt für einen Hubschrauber, mit dem man jederzeit davonfliegen kann.
    ,,Wir machen mal ein Café auf.“
    ,,Abgemacht!“
    Und er bekräftigt den Traum, indem er sie aufs Bett schubst, das noch immer zerknittert ist von ihrem bleischweren Schlaf.
    Ein paar leichte, zärtliche, leidenschaftliche Tage – sie fallen in das Sparschwein mit den glücklichen Erinnerungen, die Angelika in die Dunkelheit mitnehmen wird.
    Sie wird es Thomas immer nachtragen, dass er sie nicht weit weg gebracht hat. Selbst aus dem Ostblock konnten manchmal Leute entkommen, und da sie auf der guten Seite Europas lebten, hätten die Soldaten sie auch nicht erschossen wie ein Stück Wild. Sie wären durch ganze Landstriche gerannt wie über Böschungen. Frankreich, Spanien, Amerika, Kanada – dort hätte Fritzl sie niemals gesucht.
    Statt zu fliehen, schlenderten sie durch Amstetten. Eine Ausreißerin, die am Arm des Freundes um das Gefängnis herumspazierte – unter den Augen Fritzls, der seine Stunde abpasste.

Hin und wieder beschattet er sie. Nur um sicherzustellen, dass die beiden den großen Käfig der Stadt nicht verlassen. Am Sonntagabend wirft Fritzl eine Handvoll Würfelzucker in den Tank von Thomas’ Motorrad. Sollten sie eines Abends auf die Idee kommen, wegzufahren und ihr Glück zu suchen, würden sie nicht weit kommen. Am darauffolgenden Sonntag wäre Angelika bereits eingesperrt.
    Fritzl nutzte seine letzten Urlaubstage, um letzte Vorbereitungen zu treffen – eine Kette, ein Hundehalsband zu kaufen, einen Ring fest in der Mauer zu verankern. Anneliese sollte am 27. August zurückkommen, tags darauf hätte Fritzl seine Tochter weggeschafft.
    Anneliese schloss um fünfzehn Uhr die Haustür auf. Die Kinder waren fröhlich, hintereinander stiegen sie die Treppe hinauf. Anneliese betrat die Wohnung, Fritzl war nicht zu Hause, er wollte, dass sie die Katastrophe allein sah.
    Sie dachte, Landstreicher wären eingebrochen und hätten in der Wohnung kampiert, als Entschädigung dafür, dass sie dort weder Geld noch Schmuck gefunden hatten. Der Kühlschrank lag umgekippt auf dem Boden, der Wasserhahn an der Spüle war herausgerissen, der Fernseher lag mit gesplittertem Bildschirm da, unter mehreren, weit offen stehenden Fenstern sammelten sich die Scherben der gesprungenen Scheiben, tiefe Schrammen an den Wänden, die Matratze des Ehebetts war aufgeschlitzt.
    Überall Müll, Stummel von selbstgedrehten Zigaretten, die aussahen wie Joints, leere Flaschen, einige in Scherben, verschimmelte Pizza in der Sonne, der Teppich verströmte einen grauenvollen Uringestank.
    Kein einziges Möbelstück stand an seinem Platz, alles war umgeworfen. Anrichte und Schränke standen zwar noch, aber schräg oder auf zwei Hinterfüßen an die Wand gelehnt. Sessel, Tische lagen auf der Seite oder standen auf dem Kopf. Als hätte sich die Wohnung während ihrer Abwesenheit in ein Boot verwandelt und an einem stürmischen Tag Kap Hoorn umrundet.
    Die Kinder kamen mit zugehaltener Nase aus ihren Zimmern. Die Wände, ja selbst die herausgerissenen Seiten aus ihren Schulbüchern und die Vorhänge an den Stangen waren mit Exkrementen verschmiert.
    Fritzl kam bei Einbruch der Nacht zurück. Anneliese aß gerade mit den Kindern in der Küche. Sie hatte die Konservendosen aufgehoben, die zwischen Herd und Waschmaschine gefallen waren. Angestoßene, zerschlagene Teller, krummes Besteck, Plastikbecher. Als die Kinder hörten, dass Fritzl kam, verstummten sie. Anneliese wurde rot, überzeugt von ihrer Schuld in dieser Angelegenheit. Eine Schuld, von der sie nichts wusste, die er ihr aber sicherlich gleich mit Gewalt nachweisen würde.
    ,,Servus, Kinder.“
    Dasselbe gütige Lächeln, das er auch Angelika seit der Rückkehr von ihrer Flucht zeigte.
    Er strich Anneliese über die Schulter, als würde er sie von einer Untergebenen in den Rang eines Kameraden erheben.
    ,,Ging auf der Fahrt alles gut?“
    Unsicher biss sie sich auf die Lippe.
    ,,War der Zug pünktlich?“
    Sie nickte.
    ,,Seid ihr mit dem Taxi vom Bahnhof gekommen?“
    Sie hielt das Ganze für eine Falle. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals ein Taxi genommen zu haben.
    ,,Wir sind zu Fuß gegangen.“
    An Fritzls Platz hatte sie seinen weißen Porzellanteller gestellt, er war unbeschadet davongekommen.
    ,,Ich habe schon gegessen.“
    Er verschwand.
    Besuch des Bunkers.

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