Claustria (German Edition)
– als wolle er sich das Relief einprägen. Die Hand wandert ein Stück ihren Oberkörper hinab, streift ihre Brüste und hält inne.
Der Widerstand in ihr bahnt sich einen Weg.
,,Ich bin kein Kind mehr, ich darf mit einem Burschen wegfahren.“
Fritzl bleibt stumm. Sein Schweigen macht ihr Angst.
,,Ich bitte um Verzeihung.“
Sie rechnet mit einem unvermittelten Hagel aus Hieben, mit der Faust, die aufs Geratewohl auf den Körper trifft und den Kopf ausspart, damit er nicht platzt.
Fritzl nimmt Angelika an der Hand und bringt sie an die Erdoberfläche wie eine junge Braut.
Unversehrt brachte er Angelika wieder ins Heim der Familie. Fritzl lächelte die ganze Zeit. Anneliese hatte ihn noch nie so gut gelaunt erlebt. Das Abendessen verlief ohne Zwischenfälle. Fritzl erzählte sogar von seiner Berlinreise.
,,Eine geteilte Stadt. Die Polizisten schießen tatsächlich auf alle, die versuchen, über die Mauer zu kommen. Die Ostdeutschen sind die wahren Deutschen. Wenn nur dieser Trottel von Hitler Frankreich und die Sowjetunion nicht angegriffen hätte – dann wären sie noch immer ein einziges Land. Der Holocaust war doch allen scheißegal, solange sie ihn im stillen Kämmerchen praktiziert haben.“
Er lachte.
,,Ja, im stillen Kämmerchen kann man wirklich machen, was man will. Schließlich ist ein Land eine große Familie.“
,,Aber sie haben doch deine Mutter nach Mauthausen gebracht.“
Bei Annelieses Bemerkung verfinsterte sich Fritzls Gesicht.
,,Das hätten sie nicht tun dürfen.“
Anneliese stand auf und holte Erdbeeren. Er freute sich daran.
,,Erdbeeren kommen jedes Jahr ganz neu. Sie werden nie alt. Nicht wie du.“
Anneliese steckte diese Unverschämtheit ein, während sie eine Erdbeere aß. Der Saft lief ihr aus dem Mundwinkel.
Als Fritzl seine Portion aufgegessen hatte, erkundigte er sich bei Angelika nach deren Ausflug. Mit zärtlicher Stimme, ein Vater, der gerührt war, dass seine Tochter seit ein paar Tagen flügge war.
,,Das war sicherlich toll bei diesem schönen Wetter.“
Angelika erblasste schweigend, wartete auf ein Donnerwetter.
,,Was hat er für ein Motorrad? Sicher ein japanisches, die sind spritziger als eine BMW , außerdem sind sie billiger. Habt ihr gezeltet? Oder wart ihr im Hotel? Ein Hotel ist jedenfalls bequemer, und Camping ist gefährlich. Zelte haben keine Türen. Jeder kann reinkommen, wie er will, und bevor man noch den Mund aufmachen kann, ist man schon bewusstlos geschlagen. Wart ihr im Hotel?“
Leise sagte Angelika Ja. Anneliese regte sich auf.
,,Im Hotel? Aber dann hast du ja deinen ganzen Lohn dafür ausgegeben!“
Angelika senkte den Kopf auf ihre leere Kompottschale.
,,Ach, Geld ist zum Ausgeben da. Sie wird sich ja wohl noch ein paar Flausen erlauben dürfen. Die Jugend ist schnell vorbei. Was man hat, das kann einem keiner mehr nehmen!“
Eine noch nie dagewesene Güte in dieser Familie, in der nie auf der Tagesordnung gestanden hatte, dass man den Moment genießt wie eine reife Frucht.
,,Übrigens, das Wirtshaus hat am Montagabend angerufen und gefragt, warum du nicht mehr zur Arbeit gekommen bist. Deine Mutter lügt nicht gern, aber sie hat gesagt, dass du krank warst. Ich denke, sie werden noch mal ein Auge zudrücken. Es sei denn, du willst dir eine andere Arbeit suchen.“
Anneliese fuhr auf.
,,Die Arbeit liegt ja nicht auf der Straße. Das ist eine gute Stelle im Wirtshaus. Blöd, wie sie ist, findet sie bestimmt nichts anderes.“
Sie schlug ihrer Tochter auf die Hand.
,,Wie wäre es, wenn du etwas lernen würdest, anstatt zu trinken, Drogen zu nehmen und dich von Burschen vögeln zu lassen wie eine Sau? Dein Vater hat Abendkurse besucht, um Ingenieur zu werden. Du könntest eine Lehre machen. In einer Zeitschrift habe ich eine Anzeige für Fernunterricht gesehen. Wenn du deinen Hintern hochkriegst, könntest du vielleicht Sekretärin werden.“
Fritzl zog den Zahnstocher aus dem Mund, der zwischen zwei Backenzähnen steckte.
,,Sekretärin? Ja, das ist ein richtiger Beruf.“
Er stand vom Tisch auf. Die anderen Kinder nahmen dies als Erlaubnis, sich zu verziehen. Anneliese deckte den Tisch ab. Fritzl sah Angelika an, die es nicht wagte, aufzustehen. Er stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern.
,,Weißt du, es eilt ja nicht. Lass dir Zeit, bevor du dich entscheidest. Das Wirtshaus läuft nicht weg, du bist schließlich nicht mit der Arbeit dort verheiratet. Und wir haben Juli, du könntest bis zum Ende
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