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Claw Trilogy 01 - Fenrir

Claw Trilogy 01 - Fenrir

Titel: Claw Trilogy 01 - Fenrir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M D Lachlan
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Dunkelheit waren seine Sinne besonders scharf. Er hörte alle Insekten in der Nähe – im Stroh auf dem intakten Dach, auf den Wänden, draußen im Holz. Er hörte sie, wie er sie noch nie gehört hatte. Es schien, als sei die Nacht voller verführerischer Lieder und Kampfschreie, kleine Tiere paarten sich oder fraßen einander, die Motten flatterten, die Gallwespe kämpfte gegen die Spinne, eine gerade geborene Blattlaus fiel einem Käfer zum Opfer, eine Fledermaus schnappte sie beide. Er spürte die ganze Schöpfung, überall Tod und Geburt. Das ewige Lied der Natur, das sie sang, seit Gott dem Garten Eden das Leben eingehaucht hatte.
    Die Männer hörten auf zu reden und erstarrten. Jehan griff an.
    Der Wikinger mit dem Sax flog gegen die Wand, mit einem nassen Klatschen barst der Kopf am Stein. Der Mann, der Jehan am nächsten war, hockte mit dem Rücken zu ihm am Boden. Bevor der Krieger überhaupt reagieren konnte, packte Jehan ihn am Hemd und bei den Haaren und rammte seinen Kopf in das Gesicht des anderen Mannes, der neben ihm kniete. Beide verloren das Bewusstsein. Der ganze Angriff hatte nicht länger als drei Herzschläge gedauert.
    Jehan lauschte. Niemand kam. Die Wikinger waren Gewohnheitstiere und in die Kirche gestürmt, um Gold zu suchen. Einige hatten inzwischen Licht gemacht, die Fackeln warfen ihr flackerndes Licht in die offene Tür.
    Jehan hatte fast vollends den Verstand verloren. Der Beichtvater war nur noch eine ferne Stimme in seinem Kopf, wie von einem Wind übertönt, die Worte nur ein Flüstern, die vernünftigen Gedanken unerreichbar. Er kroch zu einem bewusstlosen Wikinger, legte ihm die Hand an die Kehle und zerquetschte ihm den Hals, um die Zähne in die Haut des Mannes hineinzuschlagen. Fleisch und Barthaare schluckte er gleichermaßen herunter. Das Kichern in ihm verwandelte sich in ein Schnüffeln, dann entstanden ein Keuchen, ein Sabbern und ein Heulen in seinem Kopf. Den zweiten Wikinger tötete er wie den ersten. Der Geschmack von Fleisch schien ihm augenblicklich neue Kraft zu schenken. Er saß im Mondlicht und kümmerte sich nicht darum, ob man ihn sah oder nicht. Für ihn waren die Strahlen des Mondes wie ein Schauer silberner Münzen, wie eine Erscheinung aus den Märchen, die ihm die Mönche damals in Saint-Germain erzählt hatten. Damals, als er noch ein Kind gewesen war und gern Märchen gehört hatte.
    Er stand auf. Seine Bewegungen waren fließend, die Geschmeidigkeit war geradezu berauschend. Er atmete den salzigen Duft des Tangs und des Meeres ein, roch das feuchte Gras des Frühlings und die Männer, die in der Nähe schwitzten und suchten.
    Jehan schlich aus dem Skriptorium, sein Körper schien eher zu fließen als zu kriechen. In der Gasse stand ein Wikinger und erleichterte sich. Er starb mit heruntergelassenen Hosen, auch ihm brach Jehan mit einer raschen Drehung das Genick. Dann sah er sich um. Seine alte Persönlichkeit ging in den intensiven sinnlichen Eindrücken ganz und gar unter – die Geräusche des Überfalls, die Pflastersteine unter den Füßen, die schwarzen Flecken der dünnen Wolken, die Helligkeit des Mondes, vor dem sie vorbeizogen, und der Geschmack, vor allem dieser Blutgeschmack im Mund. Er duckte sich tief. Die einander überlagernden Schatten waren wie ein Wald, und er war der Wolf, der darin jagte. Jehan ließ den Toten zu Boden gleiten und wandte sich zur Kirche. Jetzt tötete er, um zu töten. Der Hunger war noch da, aber ein weitaus drängenderes Gefühl beherrschte ihn nun – das Überleben.
    Hinter sich hörte er Stimmen. »Hier liegt ein Toter, einer von uns!«
    Eilige Schritte. »In diesem Raum auch. Es war ein Gemetzel.«
    Die Schatten waren für ihn wie eine Bettdecke, behaglich und sicher. Mehrere Männer kamen die Gasse herunter. Der letzte war sehr jung, höchstens fünfzehn. Jehan packte ihn an der Kehle, umschloss mit den kräftigen Fingern den Hals und unterdrückte den Todesschrei. Leise ließ er den Körper sinken und zog sich in die Dunkelheit zurück, schlich an den Wänden entlang und trat in den Hof hinaus. Fackeln. Alle Männer suchten die Angreifer. Die Flammen stachen helle Linien in die Dunkelheit. Jehans Herz schlug schneller, aber nicht vor Angst, sondern vor Erregung. Es war die Erregung des Fuchses, der sich dem Hühnerstall nähert. Er drückte sich an die Wand und wusste, dass sie ihn nicht sehen konnten. Ihm war klar, wie stumpf die Sinne der Männer waren. An einer Säule stand er fast neben einem Wikinger,

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