Claw Trilogy 01 - Fenrir
»Wir rennen um die Dünen herum, zerschlagen die Ruder von zwei Booten und fahren mit dem dritten weg.«
»Sie stellen bestimmt Wachen auf.«
»Wie ich schon sagte, wir müssen schnell sein.«
»Was ist mit dem Mönch?«
»Der soll meinetwegen weiter den Friedhof aufessen«, sagte Egil. »Der Mann ist verhext.«
»Er hat uns zu einer Menge Gold geführt«, wandte Ofaeti ein.
»Ich will keinen Leichenfresser auf meinem Schiff haben«, widersprach Fastarr.
»Es ist nicht dein Schiff.«
»Und es wird auch nicht deins sein, wenn du dich nicht sputest.«
»Ofaeti, wir sollten ihn hierlassen. Du weißt doch, dass die Christen Kannibalen sind. Sie geben offen zu, dass sie es in ihren Gebräuchen und Ritualen tun.«
»Ich … « Ofaeti wollte sagen, dass sie keine Zeit zum Streiten hatten, doch der Mönch war verschwunden. »Also gut, Leute, das war es dann. Tod oder Ruhm, vielleicht sogar beides. Auf jeden Fall der Tod. Seid ihr bereit?«
»Machen wir sie fertig«, sagte Fastarr.
Die Wikinger rannten durch die Hintertür des Klosters hinaus und liefen geduckt durch die Dünen.
Jehan hörte sie davoneilen. Er schlich durch die Gasse und nahm die starken Gerüche von Schimmel und Pisse auf. Sie waren für ihn so berauschend wie jeder Blumenstrauß, an dem er je gerochen hatte. Endlich erreichte er das Skriptorium, wo die Schriftrollen und Bücher hergestellt wurden. Die Tür stand halb offen, der Geruch des Pergaments lockte ihn hinein. Er wusste, was er tun musste. Er musste lesen, um seinen Geist wieder mit dem Wort Gottes zu erfüllen. Das Schlimmste an der Blindheit war die Unfähigkeit gewesen zu lesen. Er hatte Mönchen, die keinerlei Gespür für die Worte besessen hatten, beim Lesen der Bibel zuhören müssen. Schließlich hatte er lange Abschnitte auswendig gelernt und sie in der Stille seiner Zelle leise gesprochen. Die plärrenden Silben Bruder Frotlaicus’, den bleiernen Vortrag Bruder Ragenards hatte er aus der Erinnerung getilgt und die Worte so rezitiert, wie sie seiner Ansicht nach gesprochen werden mussten.
Das Dach war beschädigt. Durch ein Loch, das so groß war wie ein ausgestreckter Arm, fiel das Mondlicht herein. Hier drinnen hatte ein Feuer gebrannt. Die vorherigen Räuber hatten der Verlockung der brennbaren Bücher und Schriftrollen nicht widerstehen können. Überall auf dem Boden lagen Fetzen von versengtem Pergament. Der Geruch von verkohltem Leder hing feucht und schwer im Raum. Die Wikinger zerstörten diese Werke, weil sie kein Interesse an ihnen hatten, während sie den Feinden lieb und teuer waren. So markierten sie ihr Territorium und setzten ihre eigenen Wertvorstellungen durch. Der Schweißgeruch der Angreifer hatte sich im Raum festgesetzt. Er roch ihr Entzücken. Es hatte ihnen Freude bereitet, alles zu verbrennen und zu vernichten.
Jehan setzte sich auf den Boden und nahm ein Stück Pergament in die Hand.
»Auch die Engel, die ihr Fürstentum nicht bewahrten, sondern verließen ihre Behausung, hat er behalten zum Gericht des großen Tages mit ewigen Banden in der Finsternis.« Er sprach die Worte laut und versuchte, sich in die Welt zurückzuversetzen, die er einst gekannt hatte. Er war ein Gelehrter in Saint-Germain gewesen, sein Körper war von Gott gezeichnet gewesen, aber in der Seele und im Geist hatte der Herr ihn erhöht. »Sie sind Wolken ohne Wasser, von dem Winde umgetrieben, kahle, unfruchtbare Bäume, zweimal erstorben und ausgewurzelt, wilde Wellen des Meeres, die ihre eigene Schande ausschäumen, irre Sterne, welchen beschieden ist das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit.«
Die Worte sagten ihm nichts mehr, doch die Geräusche, die scharfen Konsonanten und die Klänge der Vokale, verbanden ihn wieder mit dem, was er gewesen war.
»Ich bin ein Mensch«, erklärte er, »geschaffen nach dem Bild eines Gottes.« Nein, das ist falsch. »Ich bin ein Mensch nach dem Bilde Gottes.« Er las weiter: »Der auserwählten Frau und ihren Kindern, die ich liebhabe in der Wahrheit, und nicht allein ich, sondern auch alle, die die Wahrheit erkannt haben, um der Wahrheit willen, die in uns bleibt und bei uns sein wird in Ewigkeit … «
Im Hof gab es ein Geräusch, und das Gefühl war wieder da. Er steckte sich das Pergament in den Mund und biss zu, schmeckte das Leder und die Asche. Der Hunger ließ sich nicht vertreiben. Er legte sich im Skriptorium auf den Boden und versuchte, das Gefühl zu vergessen oder es zu unterdrücken, indem er sich Stücke der Schriften in den
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