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Cleopatra

Cleopatra

Titel: Cleopatra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Treppe hinunter. Setsuko ist klein und etwa dreißig Jahre alt. Sie besitzt die typisch japanische Zierlichkeit und bewegt sich so leicht und graziös, dass man ihre Arme und Hände nie für muskulös genug halten würde, stundenlang mit den Symphonien von Mahler zu ringen. Doch wahrscheinlich sind sie sogar muskulös genug, um einem das Genick zu brechen, falls man es wagte, sie zu belästigen. Aber niemand belästigt sie. Sie ist ein Schmetterling, eine Libelle. Wir kommen gut miteinander aus. Manchmal trinke ich bitteren grünen Tee bei ihr, mit winzigen Schlückchen aus dünnem Porzellan, während sie mir erklärt, dass Setsuko ›die Keusche‹ bedeutet.
    »Hallo. Was steht auf dem Programm?«
    »Der Beethovenzyklus.«
    »Ich habe gehört, dass man in Japan die Neunte mit achttausend Mann starken Chören aufführt.«
    »Ja, komisch, was?« Ihr Niederländisch ist ziemlich gut und sie spricht es mit einem verführerischen Akzent. »Und die Steinways heißen dort Yamaha. Tschüs!« Sie lachte mit heller Stimme und rannte den Bürgersteig hinunter zu ihrem Toyota.
    Ich bin verrückt nach Setsuko, aber es gibt zwischen uns ein stillschweigendes Abkommen, Komplikationen unter ein und demselben. Dach zu vermeiden. Jedenfalls glaube ich, dass wir dieses Abkommen haben. Es kann aber auch sein, dass ich es nur deshalb glaube, weil sie manchmal Besuch von einem Mann bekommt, der Oboe spielt. Einmal hörte ich die Oboe auch früh am Morgen. Vielleicht sollte ich Oboe-Stunden nehmen, nur so als Experiment.
    In meiner Wohnung sieht es immer unaufgeräumt aus und auch staubig, weil ich mir keine Putzfrau leisten kann. Ich habe eine Art Büro, das zur Straße hin liegt, mit einem Chaos an Büchern und Nachschlagewerken, Stühlen für Besucher, einem großen Schreibtisch, auf dem mein Computer steht, und selbstverständlich einer Jalousie.
    Ich benutze den Computer nur, um Berichte zu schreiben. Er scheint noch 386 weitere Dinge zu können, aber die übersteigen mein Interesse. Wenn ich ein Problem habe, kann ich jederzeit CyberNel anrufen, eine aparte Computerspezialistin, die ich eines Tages auf einem Polizeifest kennen lernte und anschließend mit hoch gesteckten Erwartungen nach Hause in ihre mit Elektronik voll gestopfte Dachwohnung brachte. Dort stellte sich heraus, dass das Internet und andere faszinierende Dinge auf ihrem Bildschirm sie stärker erregten als meine romantischen Annäherungsversuche, so dass ich schließlich an ihrer Schulter einschlief, während sie mich von Website zu Website schleifte. Als ich morgens wach wurde, saß sie schon in Jeans und T-Shirt an einem Arbeitstisch und bastelte mit einem winzigen Lötkolben in einem Metallgehäuse voller Drähte und Leiterplatten herum.
    Nel und ich sind gute Freunde geblieben und sie hilft mir gern aus der Verlegenheit, wenn ich Informationen aus fremden Datenbanken benötige und die Einrichtungen von Meulendijk nicht gebrauchen kann oder will. Nel hat sich mit einem technischen Notdienst selbstständig gemacht und entwirft spezielle Software, um Computer gegen unerwünschte Eindringlinge zu schützen. Auch die Leitstelle: Führungs- und Lagedienst, das zentrale Führungsorgan der Behörde, benutzt eines ihrer Programme.
    Auf meiner Etage gibt es neben dem Büro auch ein Schlafzimmer, ein Bad mit Badewanne sowie ein ziemlich planlos eingerichtetes Wohnzimmer mit Kochnische. Das Beste daran ist die Glastür zu einem großen Balkon mit Blick auf die Gärten hinter den Häusern. Wegen der vielen Büros in der Gegend werden diese Gärten kaum mehr gepflegt, so dass sich Bäume und Sträucher ungehindert ausbreiten können und wegen der vielen Nester überall die Vögel zwitschern.
    Marga hatte mir auf den Anrufbeantworter gesprochen und ich rief sie zurück. Sie hörte sich aufgeregt an, wie immer, wenn sie Besuch von Tilly und Kiki oder anderen früheren Kolleginnen von der Kunstakademie hat.
    »Wir grillen, kommst du auch? Das Wetter ist herrlich!«
    »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, sagte ich. »Ich muss noch meine Berichte schreiben. Ich glaube nicht, dass ich es schaffe.«
    »Du weißt nicht, was du verpasst.«
    »Ich weiß genau, was ich verpasse.«
    Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Dann komm doch später. Ich denke, sie werden so gegen elf Uhr wieder weg sein. I love you.«
    »Ich liebe dich auch. Ich werde es versuchen.«
    Ich briet mir ein Beefsteak, schnitt eine Tomate dazu und trug das Ganze zusammen mit einem Stück Baguette und

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