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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sah nach, blinzelte, und betrachtete es sich erneut.
    »Könnten Sie bitte den Rest des Blutes abwaschen, Sir Hector? Wir müssen hier absolut sicher gehen . danke. Ja, jetzt ist es noch deutlicher.« Er sprach langsam. »Für mein unerfahrenes Auge weist diese Kralle eine leichte Riefenbildung entlang ihrer gesamten Länge auf, es könnte sich um einen Riss oder Sprung handeln; die Kralle hat eine Delle am vorderen Ende und sieht insgesamt gelb aus.« Er sah Sir Hector an. »Genauer gesagt erinnert sie mich an die Zähne meiner hochbetagten Großtante Hester. Sir Hector! Das ist die Kralle eines alten Tigers!«
    Sir Hector nickte. »Colin. Sie müssen Colin holen!«
    Es war jämmerlich mit anzusehen, welche Veränderung sich mit dem alten Jäger in den vergangenen zwei Stunden vollzogen hatte. Wie ein Mann, dessen Bewusstsein nach einem schweren Schlag auf den Schädel nur noch an einem seidenen Faden hängt, dachte Joe. Colin durchlief die anerzogene Abfolge höflicher Reaktionen, aber sein Geist war weit weg und nicht erreichbar. Er gab sich für das ganze Fiasko die Schuld, wie Joe plötzlich erkannte, und er musste zugeben, dass er an Colins Stelle genauso reagiert hätte. Vermutlich hätte Colin in Joes Augen eine Widerspiegelung seiner eigenen Reue- und Schuldgefühle gesehen, hätte er sich auf etwas anderes als seinen inneren Aufruhr konzentrieren können.
    Er folgte Joe ohne Nachfrage in das Zelt des Arztes. Joe reichte ihm das Vergrößerungsglas. »Sehen Sie sich das Objekt in der Schale an, und sagen Sie uns, was Sie sehen.«
    Colin betrachte die Kralle und sagte dann mit einem Hauch von Verwirrung: »Eine Kralle. Eine Tigerkralle. Abgenutzt ... eingerissen ... anhand der Farbe würde ich auf ein altes, wenn auch nicht sehr altes Tier schließen. Was hat das zu bedeuten?«
    Joe und Sir Hector sahen einander an. »Das haben wir auch gedacht. Würde es Sie überraschen, wenn wir Ihnen mitteilen, dass wir diese Kralle soeben aus der Halswunde des Jungen entfernt haben?«
    »Ja, das würde es. Die alte Tigerin ist nicht einmal in die Nähe des Dickichts gekommen, in dem Bahadur gefunden wurde. Er wurde vom Jungtier getötet«, erklärte Colin geduldig. »Und überhaupt ist mir noch nie zuvor ein Fall untergekommen, bei dem in der Wunde eine Kralle zurückblieb. So etwas gibt es einfach nicht.«
    »Colin«, sagte Joe leise, »diese Kralle wurde soeben vor meinen Augen aus Bahadurs Hals entnommen.«
    Colin riss sich allmählich zusammen und fand zu seinem alten Scharfsinn zurück. »Hier stimmt etwas nicht . Ich denke, wir sollten uns die Wunde noch einmal ansehen. Sir Hector, würden Sie ...?«
    Sie versammelten sich um die Leiche, ließen dabei genügend Ellbogenfreiheit für Sir Hector, der sein Instrument zur Hand nahm. Joe hielt ihm das Vergrößerungsglas, während er arbeitete. Plötzlich verharrte er und grunzte. »Reichen Sie mir doch bitte die Wundschere. Die Dritte von rechts, oberste Reihe . Ja genau. Ich bin sicher, dass ich mich nicht irre. Oh mein Gott!«
    »Was ist?«, zischte Joe.
    »Eine tiefe Wunde in der Drosselvene. Hat die Vene durchtrennt. Stammt nicht von der Kralle eines Tigers. Viel, viel tiefer als eine Kralle reichen könnte. Sie ist gerade ... schmal. Die Eintrittswunde ist kaum zu sehen und wurde überdies von der nachfolgenden Kratzwunde durch die Krallen überdeckt. Zwei scharfe Kanten, ein sauberer Schnitt. Die Haut ist an der Einstichstelle zurückgeklappt. Es ist eine wirklich kleine Wunde. Kann man leicht übersehen. Von einem Stilett? Nennt man diese italienischen Klingen nicht so? Der Stich wurde von schräg oben zugefügt, wurde also von jemand ausgeführt, der größer war als das Opfer. Aber wer wäre das nicht gewesen?«
    Er legte die Schere beiseite. »Ich würde sagen, der Junge wurde von einem Stich in die Drosselvene getötet. Könnte von hinten passiert sein. Am Kiefer sind äußerst schwache Blutergüsse. Hier, Joe, knien Sie kurz nieder.« Um seine These zu demonstrieren, näherte er sich Joe von hinten, packte das Kinn und hielt den Kopf fest. »Es wäre keine gute Idee, den Kopf zu weit nach hinten zu klappen - die Arterien könnten dann hinter die Luftröhre rutschen, was aber nicht allgemein bekannt ist. Nehmen wir an, unser Mann hat den Kopf nach oben gezogen. Bei einem so kleinen Hals hätte er damit kein Problem.« Er hob sein Skalpell, und Joe krümmte sich innerlich, als Sir Hector es ruckartig ansetzte und die scharfe Klinge an seinem Hals zum Ruhen

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