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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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dieses Nachmittags sind überaus qualvoll, aber Seine Hoheit wird heute Abend anwesend sein, um Sie zu begrüßen und einen Drink mit Ihnen zu nehmen, obwohl er sehr müde ist und sehr viel zu tun hat, wie Sie sich vorstellen können, weshalb er auch nicht lange bleiben wird. Sie können je-doch die anderen Gäste kennen lernen und ein ausgezeichnetes Mahl genießen. Seiner Hoheit ist sehr daran gelegen, dass Sie einen angenehmen und geselligen Abend verleben.«
    Joe lächelte als Zeichen der Wertschätzung für diese rücksichtsvolle Gastfreundschaft. Es war ein vernünftiges Arrangement; er hätte es ganz genauso gehalten. Voller Vorfreude näherte er sich der Doppeltür zum Durbar-Saal. Joe war ein geselliger Mann und genoss gute Konversation. Aber vor allem war er unglaublich hungrig und hoffte, dass sich die Cocktailstunde nicht allzu lange hinziehen würde. Es schien unendlich lange her, seit er am Bahnhof in Umballa ein Currygericht mit Edgar geteilt hatte.
    Vyvyan wartete am Eingang zum Durbar-Saal auf ihn. Beifällig ließ er seinen Blick über Joe wandern, sofort gefolgt von einem fragenden Anheben der Augenbraue.
    »Ich habe ihn«, erwiderte Joe daraufhin, zog den Bericht aus der Jackentasche und übergab ihn.
    »Guter Mann!«, sagte Claude. Ohne sich den Bericht anzusehen, reichte er ihn einem Adjutanten, der ihn in eine Dokumentenmappe schob und sich entfernte.
    »Die meisten Gäste sind bereits hier, Sie haben es zeitlich gut getroffen. Der Herrscher wartet schon darauf, Sie kennen zu lernen. Wollen wir hineingehen?«
    Joe folgte ihm durch die schwere Sandelholzdoppeltür mit Elfenbeinintarsien, die von zwei Dienern aufgehalten wurde. Er blieb einen Moment stehen, verblüfft von der prunkvollen Szene, die sich ihm bot.
    »Ich finde immer, es ist so, als würde man in eine Edmund-Dulac-Illustration von 1001 Nacht treten«, flüsterte Claude ihm zu, amüsiert über Joes Reaktion.
    Der große Saal war lang gestreckt, mit niedriger Decke. Kein einziger Zentimeter, so schien es, war ungeschmückt. Kannelierte Säulen, verziert mit farbigen Edelsteinen in einem komplexen, floralen Muster, stützten die Decke, die mit Blattformen in Glimmer und Gold überzogen war. In den langen Wänden befanden sich bogenförmige Türgänge, die Zwischenräume waren verspiegelt. Selbst der Boden glänzte. Joe, der aus seiner Trance erwachte und weiterging, trat behutsam auf, denn ihm war bewusst, dass seine Abendschuhe neu waren, die Ledersohlen folglich noch rutschig, und er war dankbar, als er zu dem dicken, bernsteinfarbenen Teppich in der Mitte des Raumes kam. Zwei Kristalllüster - Lalique, vermutete Joe - und Reihen weißer Kerzen auf niedrigen Tischen in den Ecken des Raumes boten die Beleuchtung; flackernde Flammen spiegelten sich in tausend funkelnden Oberflächen.
    Im Gegensatz zu der prachtvollen Dekoration waren die Gäste ein melancholischer Haufen in Schwarz und Weiß. Nüchtern gekleidet aus Respekt für den Trauernden hatten sie sich am anderen Ende des Saales zusammengefunden. Als Joe eintrat, unterbrachen sie ihre Gespräche und wandten sich ihm zu. Einer der Männer, der einen Smoking mit einem weißen Seidenturban trug, in dem ein Diamanteneinsatz funkelte, trat auf Joe zu, um ihn zu begrüßen. Er stützte sich schwer auf einem Ebenholzstock ab, und obwohl er ein großer, gut gebauter Mann war, stand es mit seiner Gesundheit augenscheinlich nicht zum Besten. Seine Gesichtszüge hätten aus bejahrtem Elfenbein geschnitzt sein können. Die Haut zog sich eng über die Knochen, die unter dem eingefallenen Fleisch deutlich auszumachen waren. Doch seine dunklen Augen waren immer noch voller Leben und nahmen die Erscheinung seines Gastes im Näherkommen auf.
    Claude, der neben Joe stand, übernahm eilfertig die Honneurs. »Euer Hoheit, darf ich Euch Commander Joseph Sandilands vorstellen?«
    Maharadscha Udai Singh lächelte und nickte, schüttelte Joe aber nicht die Hand.
    »Wir sind erfreut, Commander, dass Sie in einer so schwierigen Zeit bei uns sind. Wie ich hörte, haben Sie Ihre wertvollen Dienste und Ihr Expertenwissen angeboten, um im Tod meines Sohnes zu ermitteln, dem Sie heute Nachmittag unseligerweise beiwohnen mussten.«
    Joe fand indische Stimmen attraktiv und sogar melodisch, aber selbst nach indischen Maßstäben war diese Stimme bemerkenswert. Sie war tief und fließend, aber die formellen Redensarten klangen leblos - Formeln, hinter denen sich Verzweiflung und Schmerz verbargen. Seine Rede rief

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