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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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in Joe die Erinnerung an das herzergreifende Adagio eines Cello-Konzertes wach, das Joe in der Queen’s Hall im Jahr nach dem Kriegsende gehört hatte. Von Edward Elgar, wie er sich erinnerte, und der Komponist selbst hatte am Dirigentenpult gestanden. Joe hatte mit Tränen in den Augen gelauscht, als die Musik ihm von Verlust, Bedauern und Verwüstung erzählte. Udai Singhs Stimme weckte nun dieselben Gefühle in ihm.
    Joe verneigte sich. »Es wird mir eine Ehre sein, Euer Hoheit, wenn auch eine höchst unwillkommene Aufgabe«, erwiderte er mit derselben Förmlichkeit.
    »Es ist mein Wunsch, dass die Wolke der Trauer, die über dem Palast dräut, unsere Gäste nicht belastet. Sie gehören weder unserer Religion noch unserem Stamm oder unserer Kultur an und haben daher an unserer Trauer keinen Anteil. Ich bin mir bewusst, dass meine Aufmerksamkeit als trauernder Vater in den kommenden Tagen anderweitig beschäftigt sein wird. Aber Sie sind meine Gäste und werden nicht vernachlässigt. Der Palast ist groß und kann sowohl die Trauer, die wir empfinden, als auch das Vergnügen, auf das Sie sich freuen, beherbergen.«
    Dann sagte er, in anderem Ton: »Dies soll das letzte Mal gewesen sein, dass wir die heutigen Ereignisse erwähnen. Kommen Sie, machen Sie sich mit den anderen Gästen bekannt, die Ihnen während Ihres Aufenthalts sicherlich einige Ablenkungen bieten können. Leider kann ich Sie Ihrer Gastgeberin nicht vorstellen, da meine Gemahlin Shubhada noch nicht eingetroffen ist. Sind Sie verheiratet, Sandilands?« Er lächelte Joe forschend an. »Nein? Nun, ein Wort der Warnung im Falle einer künftigen Eheschließung: Für jedes Paar Ohrringe, das Sie ihr schenken, wird sie weitere zehn Minuten beim Ankleiden benötigen. Dann also die rangnächste Dame ... Mrs. Vyvyan! Lois!«
    Er sprach eine Engländerin an, die sich aus der Gruppe löste und aufmerksam in ihre Richtung schaute.
    Tja, was für eine Überraschung! Joe hatte nie daran gedacht, dass Vyvyan verheiratet sein könnte, aber als er die behandschuhte Rechte von Mrs. Vyvyan schüttelte, kam er zu dem Schluss, dass sie als Vy-vyans Gefährtin leicht zu erkennen war, trotz des Altersunterschiedes. Ungewöhnlicherweise schien Lois Vyvyan einige Jahre älter als ihr Gatte. Sie trug ein langes, schwarzes Kleid, hatte einen Seidenschal über ihren Schultern drapiert und um ihren Hals eine zweireihige Perlenkette angelegt. Ihre Haut war milchweiß, und ihr sattes, kastanienbraunes Haar war hinter den Ohren zu einem Knoten geschlungen. Rationell, elegant, schicklich - war Joes erster Eindruck - und sehr englisch. Es überraschte ihn daher, als sie sich zur Begrüßung zu ihm beugte und er den Duft von etwas Orientalischem und Verführerischem an ihrem warmen Hals wahrnahm. Shalimar?
    »Commander, wir sind alle entzückt, dass Sie kommen konnten«, sagte sie mit einer attraktiven Stimme, die trotzdem den Eindruck von kühler Distanz vermittelte. »Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, und wir erwarten, mit Geschichten von Ihren Erlebnissen an der Nordwestgrenze unterhalten zu werden, ganz zu schweigen von Whitechapel. Ich bin noch nie zuvor einem Detective begegnet. Trinken Sie Pink Champagne?«
    Nur mit Mühe konnte sich Joe davon abhalten, nach unten zu sehen und zu prüfen, ob er seine groben Polizeistiefel auf der Matte vor dem Dienstboteneingang ordentlich abgestreift hatte. Er spielte kurz mit dem Gedanken, ihr zu erwidern, dass ihm ein Krug Bier vollkommen ausreichen würde, wenn es Ihrer Ladyschaft nichts ausmache, aber er riss sich zusammen. Joe setzte sein umwerfendstes Lächeln auf, nahm ein Glas Champagner von einem Lakaien entgegen und betrachtete es kritisch. »Wenn ein Krug Jahrgang ‘15 nicht zur Verfügung steht, tut es ein Glas rosa Schampus genauso«, meinte er leichthin und bedauerte sofort seine Pingeligkeit. Er schämte sich, als er merkte, dass Udai Singh seinen Rüffel gehört hatte, aber zu seiner Erleichterung tauchte ein leicht amüsiertes Lächeln auf den Lippen des Herrschers auf. »Das ist auch mein Lieblingsgetränk. Ich bin sicher, unser Keller hat das zu bieten.« Ohne ein weiteres Wort entfernte sich der Lakai, um - da war Joe sicher - die unausgesprochene Anweisung weiterzuleiten.
    »Um mich Lois anzuschließen, es ist auch für mich eine neue Erfahrung«, fuhr Udai übergangslos fort.
    »Ich glaube nicht, dass man in ganz Indien einen Detective findet. Obwohl ich gehört habe, dass es in Bengalen eine Polizeitruppe geben soll, wie auch

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