Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
baden, mich anziehen und zum Abendessen gehen. Ich sollte mich besser beeilen!«
Bahadur sah auf seine Armbanduhr. Joe blinzelte bewundernd. Es war eine mit Diamanten besetzte Cartier-Uhr, und obwohl Joe niemals eine Bemerkung über die Besitztümer eines anderen Menschen machen würde, veranlasste ihn der jugendliche Stolz, mit dem Bahadur seine Uhr konsultierte, zu dem erhofften bewundernden Kommentar. Bahadur lächelte breit, sein erstes echtes Lächeln, und sofort nahm er die Uhr vom Handgelenk und hielt sie Joe hin. »Ich bin so froh, dass sie Ihnen gefällt. Ein Juwelenhändler aus London, der letztes Jahr zu Besuch war, hat sie mir geschenkt. Mein Vater war sehr beeindruckt von der Großzügigkeit des Mannes gegenüber seinem Sohn und hat eine umfangreiche Bestellung aufgegeben. Jetzt schenke ich Ihnen die Uhr. Bitte nehmen Sie sie.«
Joes peinlich berührte Proteste wurden beiseite gewischt. »Aber das ist bei uns so Brauch«, erklärte der Junge entschlossen. »Wenn ein Gast eines unserer Besitztümer bewundert, sind wir stolz darauf, es ihm schenken zu dürfen. Sie sind ein Krieger wie die Rajputen, das sehe ich, also werden Sie das verstehen. Würden Sie mir nicht auch etwas schenken, wenn ich es ehrlich bewunderte?«
»Ja, natürlich«, antwortete Joe automatisch, eingenommen von dem unschuldigen, ehrlichen Gesichtsausdruck des Jungen. Zu spät wurde ihm klar, dass er in eine Falle getappt war. Bahadur legte die Uhr feierlich mitten auf den Nachttisch, wandte sich an Joe und sagte: » Tja, ich muss jetzt wirklich los. Ich komme morgen zurück, und wir setzen unsere Unterhaltung fort, Sir.«
Joe hielt den Atem an, als der Junge zur Tür ging. Würde er damit durchkommen? Als Bahadur zum Tisch neben der Tür kam, blickte er auf die Browning M und hob seine Hände in einer schmierenkomödiantischen Geste der Überraschung und des Wieder-erkennens. Er nahm die Waffe mit vertrauter Leichtigkeit zur Hand. Genau die richtige Größe für ihn. »Bewahren Sie die Pistole gut auf, Mr. Sandilands. Ich wäre sehr beunruhigt, wenn Sie sie verlieren würden, denn sie ist die schönste, die bequemste Waffe, die ich je in Händen hielt. Eine solche Waffe auch nur zu besitzen - selbst wenn sie nicht geladen ist, wie Sie sagen -, sie in meinen Gürtel stecken zu können, würde mir ein Gefühl größerer Sicherheit geben.«
Bahadur seufzte.
Joe wusste, dass er hereingelegt worden war, aber ihm war auch klar, dass die entsetzliche Angst, mit der der Junge lebte, echt war, dass die Bedrohung real war und dass seine Bitte von Herzen kam.
Joe holte tief Luft. Er hörte seine eigene Stimme mit der Formalität und dem Stolz, der jedem rajputi-schen Krieger zur Ehre gereicht hätte, sagen: »Es wäre mir ein Vergnügen, Bahadur, wenn du die Pistole behalten würdest.«
Sie lächelten einander in völligem Verstehen an, und Bahadur und seine Browning verschwanden ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren.
Joe tauchte in sein Bad ein, hin- und hergerissen zwischen Wut und Amüsement. Er war wütend, weil er seine Waffe verloren hatte, obwohl er glücklicherweise vorausdenkend seinen alten Dienstrevolver mitsamt Munition eingepackt hatte. Munition! Plötzlich durchlief ihn ein eisiger Schauer. Tropfnass stieg er aus dem Bad und lief zu seinem Schrankkoffer. Er versuchte, sich an das Gewicht der kleinen Waffe in seiner Hand zu erinnern, als er sie Bahadur aus der Hand gerissen hatte, aber es gelang ihm nicht. Er verfluchte seine Sorglosigkeit, wühlte herum und fand mit einem Seufzer der Erleichterung die Ladestreifen für die Browning immer noch dort, wo er sie versteckt hatte, eingewickelt in eine Weste.
Er zählte die Ladestreifen. Einer fehlte.
Kapitel 7
Joe stöhnte. Ein nervöser Zwölfjähriger lief mit der Waffe eines Scotland-Yard-Commanders frei durch den Palast. Keine ungeladene Waffe, wie er gedacht hatte, sondern mit zwölf tödlichen Kugeln bestückt. Joe stellte sich vor, was Sir George sagen würde, sollte er es jemals herausfinden. Angenommen, der Junge lief mit seinem neuen Spielzeug zurück in die Zenana , um Rache zu üben für die Mordanschläge der Maharanis auf seine Mutter? Wie ein Fuchs in einem Hühnerstall könnte er nach Lust und Laune töten. Joe versuchte, sich dieses erschreckenden, aber wenig wirklichkeitsnahen Bildes zu entledigen. Der Junge hatte etwas an sich gehabt, was Vertrauen einflößte. Joe zweifelte nicht an seinem Mut und war von seiner Klugheit und seiner raschen Auffassungsgabe
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