Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
durchgehen sollte -, aber am Tage der Bestattung des Yuvaraj wurde Eure Dienerin Lal Bai dabei beobachtet, wie sie lachend durch den Palast tanzte ...«
Sie senkte das Haupt und lief weiter. Ihr Verhalten war korrekt gewesen und in Übereinstimmung mit ihrem niedrigen Rang. Sie hatte sich auf Knien genähert, um sich den Leichnam anzusehen, hatte Reis und Ringelblumen über ihn verstreut und hatte sogar ein oder zwei Glasperlen zu Boden geworfen. Der Raum, in dem man die Leiche aufgebahrt hatte, war heiß und unangenehm voll von weinenden und wehklagenden Frauen gewesen. Musiker hatten eine düstere Hymne für den Toten angeschlagen, betäubte Köpfe hatten im Rhythmus der eindringlichen, sich ständig wiederholenden Melodie genickt. Alle Frauen des Palastes waren gekommen, mit Ausnahme seiner Ehefrau. Die Witwe sollte sich in diesem Augenblick eigentlich die Haare abschneiden, schwarze Kleidung anlegen und sich darauf vorbereiten, sich in einen abgelegenen Raum in einem entfernten Teil des Palastes zurückzuziehen, wo sie für den Rest ihres Lebens fleischlose Gerichte von einem Blechteller essen würde - falls jemand daran dachte, ihr etwas zu essen zu bringen. Aber wo war die Angrez?
Sie besuchte Partys im Alten Palast mit dem Rest der Unreinen. Teilte das Bett des Ferenghi, der zuletzt eingetroffen war. Ein Zucken aus purem Hass ließ ihre schmalen Schultern erschaudern. Lal Bai würde niemals den Geschmack dieser Ausländer verstehen, die im Palast willkommen geheißen wurden. Dieser große Dunkle mit dem Blick wie ein Speer und dem Körper eines Rajputen, der Polizei-Sahib, dessen Ankunft sie durch ein Gitterfenster beobachtet hatte, hatte Padminis Annäherungen zurückgewiesen. Padmini, die ihren Namen - die Lotusblüte -zu Recht trug und die sie selbst in der Kunst, Männern Vergnügen zu bereiten, unterrichtet hatte. Za-lim war wütend gewesen, aber Lal Bai hatte das Mädchen verteidigt. Wenn dieser Ausländer die Gesellschaft einer betrunkenen, weißen Hure der des talentiertesten Mädchens im Königreich vorzog, war er ihre Aufmerksamkeit nicht wert. Sie konnten ihn ausklammern.
Und diese Kamelschlampe, die die Nacht in seinem Zimmer verbracht hatte - was sollte man von ihr halten? Während der Leichnam ihres Mannes kalt und steif wurde. Schamloses Flittchen! Ruchlos! Lal Bai schwor, mit Udai Singh über dieses Verhalten zu sprechen, sobald sie ihn wiedersah. Und nach dem Ende der Trauer würde sie ihn ganz sicher wiedersehen.
Sie war schließlich die Mutter des einzigen Sohnes, den er noch hatte - und erst fünfzehn Jahre alt gewesen, als Bahadur zur Welt gekommen war. Keine Ehefrau, aber der Überlegung wert. Auch seiner Aufmerksamkeit immer noch wert. Lal Bai war sich wohl bewusst, dass sie jugendlich geblieben war und so schön wie jede Padmini. Jetzt würde er einsehen, dass er seine Zeit - die kostbare, ihm noch verbleibende Zeit - mit der bäuerischen Frau verplemperte, die weder eine echte Hindu noch eine echte Angrez war. Die Frau hatte weder Brüste noch schwellende Hüften, und Lal Bai hatte heimlich gelacht, als ein Palastwächter gesagt hatte, dass das Einzige, was Ihre Dritte Hoheit gern zwischen ihren Schenkeln spürte, ein Polo-Pony war.
Lal Bai trippelte weiter, genoss die Kühle der nördlichen Veranda. Sie hatte einen weiten Weg von ihrer Wohnung auf der Ostseite der Zenana hinter sich, aber es gab etwas, das sie unbedingt sehen musste, bevor sie zurückkehrte, um die Puja durchzuführen. Sie hatte ihre Dienerin Chichi Bai fortgeschickt, um das Rauchopfer und die Opfergaben für ihre Morgenzeremonie vorzubereiten. Sie würde die Puja an diesem Tag in Dankbarkeit für ihre Familiengöttin durchführen. Mahakali hatte sich Lob verdient. Lal Bais Gebete waren beantwortet worden, und nun gab es keine Hindernisse mehr für die Erfüllung der Prophezeiung. Kurz nach der Geburt von Bahadur hatte sie einem Wahrsager viele Rupien bezahlt und seitdem jeden Tag die kostbaren Worte wiederholt, die er ihr gesagt hatte: »Dem Herrscher wird sein dritter Sohn auf den Thron folgen. Aber der dritte Sohn wird der letzte Herrscher sein.«
Der zweite Teil der Prophezeiung klang alarmierend, aber Lal Bai hatte ihn verdrängt. Solange sich nur der erste Teil erfüllte - nur darauf kam es an. Sie hatte es für sich behalten, hatte befürchtet, Eifersucht zu erregen, aber jahrelang hatte sie bei den Frauen des Herrschers nach Anzeichen für eine wundersam späte Schwangerschaft Ausschau gehalten, voller
Weitere Kostenlose Bücher