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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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segelte mühelos nach oben. Joe räusperte sich, um den Staub aus Nase und Mund zu bekommen, der bei ihrem Abheben aufgewirbelt worden war. Langsam gewöhnte er sich an das Fliegen, und bald fühlte er sich mutig genug, um sich zur Seite zu beugen und einen Blick auf die Landschaft unter sich zu werfen. Sie flogen eine Zeit lang auf gleicher Höhe geradeaus, dann kreisten sie müßig über die unnatürlich stille Stadt, die den Palast umgab. Die einzige Aktivität, die Joe ausmachen konnte, fand am Ufer statt, und er vermutete, dass dies der Bestattungsort war, auf dem der Scheiterhaufen vorbereitet wurde.
    Aus dieser Höhe erkannte er plötzlich, dass es zwei Ranipurs gab. Die alte Stadt und die moderne. Rund um den Alten und Neuen Palast sammelte sich ein Labyrinth verwinkelter Straßen, die in einen großen Marktplatz mündeten. Hohe Mauern umgaben die alten Gebäude, und es existierte eine klare Demarkationslinie zwischen Alt und Neu. Die neue Stadt breitete sich in verschwenderischer Missachtung jeder räumlichen Beschränkung über die Ebene jenseits des Flusses aus. Auf einem Gitterraster mit breiten Straßen errichtet, reckte sie sich zur Wüste hin, mit einheitlichen roten Sandsteingebäuden, durchsetzt von grünem Rasen und Parkanlagen, deren aufwändige künstliche Teiche jetzt, mitten im Sommer, recht leer waren. Was mochte die Funktion dieser scheinbar verlassenen Gebäude sein? Joe sah kein Lebenszeichen in oder um die Häuser, bei denen es sich um öffentliche Gebäude zu handeln schien - eine Schule, vielleicht ein Krankenhaus. Im Norden führte eine Straße kühn in die Wüste, hörte aber nach zwei Meilen auf. Haufenweise lag Baumaterial zu beiden Seiten der Straße.
    Ihre Kreise wurden größer, und Joe fiel auf, dass es keine Kamelkarawanen gab, kein Verkehr, welcher Art auch immer, führte durch die Wüste. Offenbar gehorchte jeder dem alten Brauch, während der Trauerphase innerhalb der Stadtgrenzen zu bleiben, aber natürlich konnte Ali mit seinem Insiderwissen schon am Vortag aufgebrochen sein und hatte somit Zeit genug gehabt, um sich bereits in Surigargh zu befinden.
    Es war ein Schock für Joe, als er aus dieser Höhe deutlich erkannte, wie schmal und zerbrechlich der Streifen grünen Weidelandes war, der die Stadt umgab. Von hier oben schien es, als würde die Wüste Ranipur belagern, und auch wenn man einberechnete, dass man sich in der Trockenzeit befand und die jährlichen Monsunregenfälle erst in einem oder zwei Monaten erwartet wurden, hatte die Wüste gewonnen, dachte Joe. Sie breitete sich wellenförmig unter ihnen bis in weite Ferne aus, das gelbbraune Ödland durchkreuzt von den silbrigen Trampelpfaden der Tiere. Die Aravalli-Berge im Westen erhoben sich wie eine Barriere gegen die eindringenden Massen fließenden Sandes, aber selbst sie gaben dem Druck nach. Große Seen aus Sand hatten jede Lücke in den Bergen aufgefüllt, von den Winden hergeblasen, wo immer sie nicht auf ein Hindernis stießen.
    Die Flüsse und Ströme, die sich in der feuchten Jahreszeit von den Bergen in das Königreich ergossen, waren nun nichts weiter als trockene Rillen, gelegentlich von Brunnen markiert und mit kleinen Ansiedlungen runder, strohgedeckter Hirtenhütten gesprenkelt.
    Nach einer halben Stunde Geradeausflug bemerkte Joe Kamelfährten, die sich im Süden bis nach Ra-nipur zogen, und er kam zu dem Schluss, dass sie sich ihrem Ziel näherten. Wenige Minuten später konnte er seinen ersten Blick auf Surigargh werfen. Die vier weißen Minarette eines Brunnens zogen seinen Blick auf sich, die ausgewaschenen Mauern verkündeten die Anwesenheit von Wasser, das aus großer Entfernung kam. Andere Beweise von kostbarem Nass kamen in Sicht, der dumpfe Glanz eines Wasserreservoirs, verborgen hinter einer herrlichen Steinstruktur, mit Bögen und Kuppeln und zahlreichen Treppen, die zu vier Seiten zum Wasser weiter unten führten.
    Zu Joes Überraschung handelte es sich bei Surigargh nicht um eine Ansammlung von Lehmhütten. Es erweckte ganz den Anschein einer befestigten Stadt. Stuart stieß ihm in den Rücken und zeigte mit dem Finger nach steuerbord. Joe bemerkte die Steinmauer, die zu einem Hügel mit einer kleinen Festung mit Geschützen führte. Als sie über die Stadt flogen, rechnete sich Joe aus, dass es über eintausend Häuser geben musste. Zusammengedrängt in der Mitte standen ein paar große Gebäude, deren Zweck ihn verwirrte. Von oben sahen sie so wuchtig und hässlich aus wie die Festung

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