Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
eigentlich herführte ... wahrscheinlich Neugier ... Es fühlte sich richtig an, ein wenig Hintergrundwissen über den Maharadscha zu sammeln ... Das ganze Problem scheint aus der Thronfolge entstanden zu sein, und hier hat alles angefangen.«
Stuart grinste. »Ihre Instinkte sind wahrscheinlich richtig. Diese ganze schlimme Sache dreht sich um eine einzige Frage: Wer tritt die Nachfolge an? Haben Sie den großen Haveli gesehen, den ich Ihnen zeigte? Dort wurde Udai geboren, und dort lebt sein Cousin, der Stammesführer, heute noch. Sein Name ist Shardul Singh. Wir statten ihm einen Besuch ab.«
»Haveli, haben Sie gesagt?«
»Ja. Haben Sie noch nie von Havelis gehört?« Stuart lächelte verschlagen. »Dann machen Sie sich auf etwas gefasst! Sie sind etwas ganz Besonderes. Schauen Sie, da vorn ist ein kleiner.«
Die Gebäude, die aus der Luft blockartig und eintönig gewirkt hatten, waren bezaubernd, wenn man sie von der Straße aus betrachtete. Joe blieb stehen und starrte bewundernd auf eines der verzierten Kaufmannshäuser, die die Hauptstraße der Stadt säumten. Sie hatten starke Mauern, durchbrochen nur von Reihen kleiner Gitterfenster. Joe vermutete, dass die Bauten von den Innenhöfen, die er vom Flugzeug aus gesehen hatte, durchlüftet und gekühlt wurden. Aber es war die Bemalung der Mauern, die ihn verblüffte. Als ob sie der tristen Umgebung entgegenwirken wollten, hatten die Maler die Hauswände mit leuchtend bunten Fresken geschmückt. Joe lachte, als er herausgeputzte Elefanten in einer Prozession sah, zur Schlacht bereite Pferde, Jagdszenen, pirschende Tiger, Blumen und Vögel, sogar rot uniformierte britische Soldaten und die kindliche Darstellung einer Eisenbahn.
Stuart machte ihn auf die interessantesten Szenen aufmerksam, während sie durch die übervölkerte Hauptstraße schlenderten. Die Häuser und das Niveau der Malereien wurden immer eindrucksvoller. Joe blieb vor einer besonders spektakulären Darstellung in einem limitierten Farbspektrum aus Rot, Braun und Grün stehen und bewunderte die feinen Blumengirlanden, die zwei rajputische Krieger umgaben, die auf prachtvoll dekorierte Streitrösser stiegen. Zu beiden Seiten des Hauptbildes fanden sich kleinere Abbildungen von rajputischen Frauen. Eine spielte mit einem Yo-Yo, eine andere hielt ein Musikinstrument in der Hand, eine dritte schoss im Laufen mit wirbelnden Röcken und einem entschlossenen Gesichtsausdruck mit Pfeil und Bogen, und eine vierte, diese verschleiert, lugte hinter ihrem Ghungat hervor und sah den Beobachter mit einem funkelnden, schwarzen Auge an, die Knöchel und Handgelenke mit Juwelen behängt.
»Hier, was halten Sie davon?«, fragte Joe. Seine Aufmerksamkeit wurde von einem linearen Muster aus roten Handabdrücken gefangen, das sich über das untere Ende der Mauer zog. »Das scheint nicht mit dem Rest der Bemalung zu harmonieren?«
»Thapas«, sagte Stuart. »Ein echter Misston.« Er scharrte unangenehm berührt mit dem Fuß auf der sandigen Straße. »Es ist ein Symbol für Sati. Alle Witwen des Hausherrn starben früher mit ihrem toten Herrn auf dem Scheiterhaufen. Auch seine Konkubinen. Die meisten gingen freiwillig - es war eine Frage der Ehre und des Stolzes und zeigte allen die Liebe, die sie für ihn empfanden. Aber vermutlich wissen Sie das schon. Auf dem Weg zum Feuer tunkten sie die rechte Hand in roten Ocker und hinterließen an der Wand ihres Hauses einen Handabdruck.«
Joe sah bestürzt auf die Reihe an Handabdrücken, einige nicht größer als die eines Kindes, und stammelte: »Aber das müssen doch .«
»Ich habe sie nie gezählt. Sie führen um das ganze Haus herum.«
Joe sah genauer hin. Die Reihe an Handabdrücken bleichte zunehmend aus, je weiter sie sich zog, aber die letzten zwei oder drei schienen ihm verdächtig frisch zu sein. Er teilte Stuart seine Befürchtungen mit.
»Sie tun es immer noch«, räumte Stuart gequält ein. »Die Briten haben es zwar vor einhundert Jahren verboten, aber sie können nicht überall sein. Die letzten dieser Handabdrücke sind drei Jahre alt, wie man mir sagte. Aber kommen Sie, gehen wir hinein. Das ist das Haus des Stammesführers. Das Haus, in dem Udai geboren wurde. Man wird uns schon erwarten.«
»Amal khaya, sahib?«
»Was sagt er?«, fragte Joe.
»Er fragt, ob Sie heute schon Ihr Opium hatten.
Er wird Ihnen welches anbieten, wenn Sie heute Morgen noch keine Zeit dafür hatten«, erläuterte Stuart.
Joe brachte es fertig, die richtigen Worte auf
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