Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Chancen hat eine vierunddreißigjährige alte Jungfer im Nachkriegsengland?«
Joe war gewillt, über diese Frage nachzudenken, und sie sprachen eine Weile über die deprimierend geringen Beschäftigungsmöglichkeiten, die einer klugen, unverheirateten Frau offen standen. Unter dem herzerwärmenden Einfluss von Lizzies großen, braunen Augen und den nicht weniger großen Mengen an Whisky war Joe kurz davor, ihr vorzuschlagen, dass sie ihn heiraten und ihm somit erlauben solle, sie zur glücklichsten Frau auf Erden zu machen, aber als er diesen Satz noch einmal innerlich aufsagte, fand er, dass es noch irgendwo hakte.
Bevor er sich jedoch eine Blöße geben konnte, ging die Tür auf, und Bahadur trat ein, wobei er ostentativ auf seine neue, beeindruckende Armbanduhr sah, wie Joe bemerkte. Ihm folgte Jaswant, der einen Leinenbeutel in der Hand hielt. Die halbe Stunde war in Lizzies Gesellschaft rasend schnell verstrichen, und Joe rechnete sich alarmiert aus, dass eine Familie gefährlicher Schlangen in einem Radius von zehn Minuten Fußmarsch vom Alten Palast frei herumschlängelte. Er sah erneut auf den Beutel, den Jaswant in der Hand hielt. In dessen Tiefen bewegte sich etwas.
Bahadur wirkte reichlich verstimmt, als er sein Kindermädchen und seinen britischen Leibwächter Seite an Seite auf dem Sofa sitzend vorfand, heiter dem Whisky frönend. Er erklärte mit einer gewissen Schärfe, dass er bereit sei, den Commander zu seinem nächsten Termin zu begleiten, falls Miss Ma-carthur auf ihn verzichten könne. Ein weiterer Blick auf die Uhr unterstrich seinen Eifer, sich auf den Weg zu machen.
»Ich habe das Gefühl«, flüsterte Joe in Lizzies Ohr, »dass mich jemand wie ein Paket weiterreichen möchte.«
»Jedenfalls will er Sie in Bewegung halten. Womöglich steckt die Absicht dahinter, dass ein Polizist, der ständig in Bewegung ist, keine Informationen sammeln kann? Wohin bringst du ihn jetzt, Bahadur?«
»Wir arbeiten in Übereinstimmung mit den erklärten Wünschen des Commanders«, erwiderte Bahadur von oben herab.
Joe fragte sich, ob dieses >Wir< ein königliches Wir war oder eine Gesellschaft andeutete, zu der Bahadur sich zugehörig glaubte.
Joe verabschiedete sich von Lizzie und folgte einige Schritte hinter dem Thronerben, weil er dachte, das könne schon mal nicht falsch sein. Nach ein paar Metern wartete Bahadur, bis Joe ihn eingeholt hatte, und ging auf gleicher Höhe mit ihm weiter.
»Ich glaube, du wirst die Hitze und die Schönheit vermissen, wenn du in England auf die Schule gehst«, meinte Joe im Plauderton.
»Ich werde nicht zur Schule gehen«, erklärte Bahadur. »Ich habe entschieden, hier in Ranipur zu bleiben, wo ich gebraucht werde. Ich kann mir Privatlehrer kommen lassen, um meine Ausbildung fortzusetzen, und ich hege nicht den Wunsch, Cricket zu lernen.«
Joe lächelte in sich hinein. Dieser junge Rajpute versprach für Claude ein schwieriger Schützling zu werden.
»Ich habe gehört, dass Sie meinen Onkel Zalim Singh sprechen wollen?«
Joe bestätigte das.
»Nun, er möchte Sie unbedingt treffen, damit er Sie in die Zenana bringen kann. Eine große Ehre, Sir. Mein Onkel ist der einzige Mensch, der die Macht hat, Sie dort einzulassen, und er tut das nur, weil Ihre Erste Hoheit eine Audienz erbeten hat. Sie werden doch nicht vergessen, was ich Ihnen über die Hoheiten sagte?«
Letzteres war weniger eine Frage, eher ein Befehl. Joe nickte erneut.
»Ihre Trauer und ihre Wut werden sich verdoppelt haben, als sie hörten, dass ich zum Yuvaraj ernannt wurde. Ich selbst werde Sie nicht zu den Frauenquartieren begleiten. Dort sind überall ihre Diener, und wer weiß, welche Befehle sie ihnen erteilt haben.«
Sie schienen sich immer tiefer in den Alten Palast vorzuarbeiten, und es dauerte einige Minuten, bis sie zu einer reich verzierten Tür kamen, vor der zwei königliche Wachen standen, die prompt vortraten und ihnen den Weg versperrten. Bahadur sprach schneidend mit ihnen, und Joe hörte in dem Austausch seinen Namen. Mit synchronisierter Effizienz öffneten die Wachen daraufhin die Tür, und einer von ihnen trat hinein und kündigte Joe an. Joe sah sich nach Bahadur um, aber der Junge hatte sich still und leise davongeschlichen.
»Sandilands! Kommen Sie doch herein!«, dröhnte eine freundliche Stimme. Joe betrat den Raum, den er für die Kommandozentrale des Staates Ranipur hielt. Gemäß Joes Erfahrung waren indische Räume stets spärlich möbliert: Häufig wurden nur
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