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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Audienz hatte, und das nicht bei einem furchteinflößenden, Menschen fressenden Monster, sondern bei einer ältlichen Fürstin, die wenig von der Außenwelt wusste, einer Mutter, deren einziger Sohn vor weniger als zwei Monaten gestorben war und die sich an Strohhalme klammerte und nicht bereit war, die Karten zu akzeptieren, die ihr das Schicksal ausgeteilt hatte. Er seufzte. Vielleicht wäre das Monster doch vorzuziehen gewesen.
    Ein großer Hof, in dem es vor Tauben und schnatternden Affen nur so wimmelte, trennte die Frauenquartiere von dem Haupthaus des Alten Palastes. Joe blinzelte im grellen Sonnenlicht, als sie aus den Schatten traten. Der Ansturm der Nachmittagssonne war derart heftig, dass er schon glaubte, das Durchqueren des offenen Platzes zur Zenana könnte sich als allzu große Strapaze erweisen, und er betrachtete verwundert die hoch gewachsene, einsame Gestalt -aufrecht, als ob sie einen Besenstiel verschluckt hätte -, die in vollem Sonnenlicht den Eingang bewachte.
    Es war augenscheinlich ein militärisch ausgebildeter Mann, schon älter, mit üppigem Schnurrbart und durchdringenden Augen. Er war ohnehin weit über einen Meter achtzig groß, trug aber noch einen Turban mit einer hohen, roten Feder. Mehrere Gürtel waren um seine Taille geschlungen, an denen eine Auswahl an Waffen befestigt war. Als sie näher kamen, zog der Wächter, dessen weißer Schnurrbart wild erzitterte, einen schmalen, gebogenen Dolch aus seiner Scheide und hielt ihn theatralisch, aber nichtsdestotrotz absichtsvoll vor sich.
    Zalim begrüßte ihn, und es folgte ein ritueller Austausch in Hindi.
    »Der Schwiegervater meines Cousins«, erläuterte Zahm. »Ein Aristokrat. Er ist der Hüter der Zenana.
    Wir haben besondere Vorkehrungen für Ihr Treffen mit Ihrer Hoheit getroffen. Diese Vorkehrungen beinhalten die Dienste eines hervorragenden Dolmetschers, da Ihre Hoheit kein Englisch spricht.«
    Er rief einen Namen, und eine Gestalt, die unsichtbar im Schatten der Tür gewartet hatte, trat vor. Ein Mädchen, ein sehr großes Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, großen, dunkel umrahmten Augen und einer roten Rose in einem flotten Winkel hinter dem Ohr, begrüßte Joe mit tiefer und verführerischer Stimme. Sie trug keinen der traditionellen rajputischen Röcke mit engem Oberteil, sondern eine weite, voluminöse Hose und eine Tunika in einem fließenden, gazeartigen Stoff. An ihren Fußknöcheln und an ihren schmalen, braunen Armen klimperten Schmuckreifen. Sie trug keinen Schleier und auch keinen Dopatta und sah Joe unerschrocken ins Gesicht, neugierig und forschend.
    Zalim gab dem Mädchen einige Anweisungen und verabschiedete sich dann von Joe. »Tja, da sind Sie also. Ich überlasse Sie der Obhut von Zafira. Wenn Sie irgendetwas wünschen . was auch immer es sein mag«, sagte er, und seine Stimme schnurrte unmissverständlich konspirativ, »wird er Ihnen nur zu gern gefällig sein.«
    »Noch eine von den Bettflüsterinnen des Dewan?«, fragte sich Joe und erinnerte sich an Madeleines bissigen Kommentar.
    Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ihm dämmerte, was Zalim da gerade gesagt hatte. Nachdenklich folgte er der sehnigen Gestalt von Zafira, der singend und in die Hände klatschend ein paar Schritte vor ihm ging, als ob alle gewarnt werden sollten: Achtung! Hier kommen ... tja, wer eigentlich? ... ein ausländischer Polizist und ein Palas teunuch<, nahm Joe an. >Ein schrilles Paar!<
    Joe war fasziniert und hatte tausend Fragen, die er seinem Führer gern gestellt hätte, aber er fürchtete, sein Interesse könnte falsch verstanden werden, darum verkniff er sich die Fragen und folgte nur stumm, bis sie einen von Säulen umgebenen, zentralen Innenhof erreichten. Hier breitete sich ein weiterer paradiesischer Garten aus, mit vier grünen Quadraten voller Lilien, blühender Orangenbäume und Bougainvilleen. Man hörte Wasserrauschen. Durch dekorative Rohre floss das Wasser zu einem Brunnen in der Mitte, aus dem es sich plätschernd ergoss.
    Pfaue staksten durch das Grün, aber die lebenden Vögel wurden von den brillanten Darstellungen ihrer Artgenossen mit stolz ausgebreiteten Schwänzen ausgestochen, eingefangen in Mosaiken aus Lapislazuli, Türkisen und Gold, die die Wände der Zenana schmückten. Balkone hingen über den Hof, und Joe spürte, dass er hinter den Gitterfenstern von vielen Augenpaaren aufmerksam beobachtet wurde. Er vermutete, dass an diesem Ort normalerweise in Gruppen gelacht und geplaudert wurde, mit

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