Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Briten als auch für den Staat von Ranipur. Sind wir uns da einig?«
»Das sind wir«, räumte Joe ein. »Aber sagen Sie, Sir, sind Sie zufrieden mit den Vorkehrungen für Ihre eigene Zukunft? Hätten Sie es nicht vorgezogen, als regierender Vormund die Staatsgeschäfte zu führen?«
Zalim sah aus, als hätte er diese Frage erwartet. »Eine Regentschaft währt nur wenige Jahre, und da ich Bahadur sehr gut kenne, kann ich Ihnen versichern, Sandilands, dass es nicht lange dauern wird, bis er auf die Dienste seiner Regenten verzichtet. Wir wollen offen miteinander sein - ich spreche zu Ihnen, wie ich zu Sir George sprechen würde.« Er verneigte sich leicht, als ob er das Gouverneursamt ehrenhalber an Joe übertragen wollte. »Die Vereinbarungen waren, wie Sie schon vermutet haben, rein kosmetischer Natur. Ihre Hoheit Shubhada weiß dadurch ihre Lebensumstände gesichert, und die britische Regierung fühlt sich durch ihren Vertreter Vy-vyan in alle künftigen Affären des Staates eingeschlossen und bleibt unser Verbündeter.«
»Aber wir wissen, dass das Staatsschiff weiterhin von derselben ruhigen Hand gelenkt wird?«, deutete Joe an, und Zalims breites Lächeln ermutigte ihn fortzufahren. »Sagen Sie, Sir, gab es je einen Moment, in dem Sie dachten, dass der Steuermann es womöglich verdienen würde, Kapitän zu sein?«
Joe hielt den Atem an. Er wusste, dass er zu weit gegangen war. Zalim schien einen Augenblick verwirrt zu sein, dann glättete sich sein Gesichtsausdruck, und er erwiderte ruhig: »Wir Rajputen haben wenig Gelegenheit für maritime Metaphern, Sandi-lands. Vielleicht darf ich Ihre impertinente Frage mit einem alten Sprichwort von uns beantworten? >Das Königreich des Rajputen ist der Rücken seines Pfer-des.< Mein Ehrgeiz ist - und war immer - begrenzt.
Ich strebe nichts weiter an als meinen eigenen Sattel. Ich bin in mancherlei Hinsicht ... fähiger ... als mein Bruder, und diese Fertigkeiten habe ich frohen Herzens ihm und dem Staat gewidmet. Die größte Tugend aller Rajputen ist die Loyalität gegenüber dem Herrscher. Mein Kopf und mein Schwert dienen allein ihm und nun natürlich dem Befehl des Yuvaraj. Treue ist die Quelle aller Ehre in diesem Leben und allen Glücks im Jenseits.«
Zalim schwieg einen Augenblick und schien von seiner eigenen Offenheit überrascht. »Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass Ehrgeiz zerstörerisch ist, und unsere Religion lehrt uns, dass weltliche Reich-tümer uns am Ende zu nichts nütze sind. Udai nähert sich jetzt rasch seinem Ende. Lassen Sie mich Ihnen sagen, was geschehen wird, wenn der Augenblick des Todes gekommen ist. Er wird, wenn er stirbt, von seinem Bett gehoben und auf ein Lager aus Stroh auf den Boden gelegt. Dort wird er seinen letzten Atemzug ebenso tätigen, wie er den ersten getätigt hat - in Schlichtheit. Er hat nichts mit in diese Welt gebracht, und er wird nichts aus ihr mitnehmen.«
»Und die Horoskope - die Prophezeiungen - werden sich erfüllen?«
»Ja, genau. Sie werden stets nach der Geburt eines Kindes durchgeführt und haben sich niemals als falsch erwiesen. Mein Bruder wurde zu Recht als künftiger Herrscher erkannt, obwohl er ein höchst unwahrscheinlicher Kandidat für den Gaddi war, und wie vorhergesehen wird ihm sein dritter Sohn nachfolgen. Die Geschehnisse liegen nicht in unserer Hand, Sandilands, und es ist sinnlos, Druck auf das Schicksal ausüben zu wollen. Aber es gibt Menschen ...« Er schwieg und seufzte. »... Menschen, die nicht akzeptieren wollen, wenn das Schicksal den Teppich ausrollt, und ich fürchte, ich muss Sie bitten, einer Audienz bei der Mutter von Bishan, Ihrer Ersten Hoheit, nachzukommen. Sie will Sie sehen, und sie ist es nicht gewohnt, dass man ihr eine Bitte abschlägt. Ich bringe Sie persönlich in die Zenana. Kennen Sie unseren Brauch der Purdah? Die Frauenquartiere sind bewacht, und kein Mann außer dem Fürsten und mir hat dort Zutritt.«
Er stand auf und rief mit einem Klatschen der Hände die Sekretäre zurück, erteilte ihnen weitere Befehle und machte sich dann mit Joe auf den Weg.
Fünf Minuten später, in denen er versucht hatte, mit Zalim Schritt zu halten, kam sich Joe wie Theseus vor, nur ohne den lebensrettenden Faden. Und welche dunkle Präsenz erwartete ihn am Ziel? Die endlosen Korridore, das Rascheln unsichtbarer Menschen, die sich hinter Türen und in Alkoven versteckten, während sie an ihnen vorbeigingen, all das verwirrte ihn. Er rief sich in Erinnerung, dass er nur eine
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