Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Musik, Spielen und vielleicht sogar Tanz, aber heute, am Tag der Einäscherung, war alles still und stumm, abgesehen von den melancholischen Rufen der Vögel.
Sie gelangten an eine schattige Ecke der Kolonnade, an der ein Paravent aus Bambus errichtet worden war. Auf der äußeren Seite stand ein Stuhl, und Zafira bat Joe, sich zu setzen. Er versicherte Joe, dass er schnell und akkurat übersetzen würde; er sei es gewohnt, diesen Dienst für Ihre Hoheit zu leisten. Hinter dem Paravent duftete es plötzlich schwach nach Rosenöl, und Joes Audienz hatte begonnen.
Was hatte er erwartet? Ein schüchternes, kaum hörbares Murmeln? Weibliche Neugier? Ein Schwall an Trauer? Alles gemeinsam?
»Sie sehen sehr gut aus ... für einen Angrez!« Die Stimme war fest, klar und attraktiv. »Sagen Sie, junger Mann, sind Sie so klug, wie Sie schön sind?«
»Klug genug, um mich nicht von Komplimenten verführen zu lassen, auch wenn sie von der höchsten Dame des Landes stammen«, erwiderte er diplomatisch.
Angesichts des lauten Lachens hinter dem Paravent fragte sich Joe, ob er das Gespräch möglicherweise doch genießen würde.
»Ich mache keine Komplimente, ich sage nur, wie es ist.«
Joe fühlte sich durch die ungleiche Situation zwischen ihnen im Nachteil: Sie konnte jede Nuance seines Gesichtsausdrucks wahrnehmen, wohingegen er bei ihr nur raten konnte. Es ähnelte einer Aufführung auf einer Bühne, befand er: Die Schauspieler, die von den Rampenlichtern geblendet wurden, sahen von ihrem Publikum nur wenig, waren aber in der Lage, sich an dessen Reaktionen zu orientieren. Nun gut, dann würde er eben ein Schauspieler sein.
Er drehte den Kopf und präsentierte ihr sein Profil, aber auch die kriegsbeschädigte linke Seite seines Gesichts. »Vielleicht ist das aber nur die halbe Wahrheit, Euer Hoheit. Man hat mir aus berufenem Munde versichert, dass ich mehr Ähnlichkeit mit dem berühmten Yashastilak habe.«
»Mir ist Ihre Narbe sofort aufgefallen«, lautete die leise Erwiderung. »Und Sie sollten Sie in Ehren halten. Sie ist ein Zeichen für Mut und Schmerz im Angesicht des Feindes.«
Eine explodierende Granate pflegte unpersönlich zuzuschlagen, aber wenn die Fürstin glauben wollte, dass er bei einem Kampf Mann gegen Mann einen Säbelhieb abbekommen hatte, dann würde er sich gern fügen. Er hob sein Kinn, ließ die Augen zu schmalen Schlitzen werden und versuchte, gleichzeitig edel und fies auszusehen.
Noch mehr Glucksen hinter dem Paravent.
»Ja! Jetzt sehe ich es deutlich. Zweifelsfrei Yas-hastilak! Aber Sie fragen sich sicher, warum ich Sie zu mir gebeten habe, Sandilands? Natürlich ist es immer ein Vergnügen, einen attraktiven, jungen Mann zu sehen, und ich wünschte, wir könnten unter glücklicheren Umständen plaudern.« Ihre Stimme klang nun geschäftsmäßig. Der kluge Zafira brachte es fertig, das in seine schnelle Übersetzung einfließen zu lassen, wie Joe bemerkte.
»Mein Sohn Bishan«, fuhr die Fürstin fort, »müsste sich in diesem Moment eigentlich darauf vorbereiten, seinen Platz auf dem Gaddi einzunehmen, aber das sollte nicht sein. Man sagte mir, sein Tod sei ein Unfall gewesen, aber das glaube ich nicht. Die Purdah hält mich davon ab, die Wahrheit herauszufinden. In der Zenana hören wir nur, was die Außenwelt uns zu sagen geruht. Von Edgar, der seit langem mein Freund ist, habe ich erfahren, dass Sie sich wie ein Hund auf die Fährte der Wahrheit machen. Wenn Sie sie gefunden habe, möchte ich, dass Sie wiederkommen und mir den Namen des Mörders meines Sohnes zuflüstern. Sie werden reich entlohnt werden.«
Was konnte Joe anderes tun, als der trauernden Fürstin höflich sein Mitleid auszusprechen und ihr sein Wort zu geben, dass er ihr die Wahrheit, die sie zu erfahren verdiente, sagen würde, sobald er in der Lage war, sie zu offenbaren.
»Aber es gibt da eine Sache, die Sie für mich erhellen könnten«, meinte Joe zögernd. »Ich möchte mich einer trauernden Familie nicht aufdrängen, aber für meine Ermittlungen wäre es sinnvoll, wenn ich genauer wüsste, wie Bishans Familienverhältnisse aussahen. War er verheiratet? Hatte er Kinder? Ich bin eben erst in Ranipur eingetroffen und weiß noch nichts von Dingen, die für andere selbstverständlich sind.«
Ihre Stimme wurde kühler, aber sie antwortete unverzüglich. »Er war verheiratet. Seine Frau ist hier irgendwo in der Zenana. Sie wurden verheiratet, als sie noch Kinder waren, wie es der Brauch ist. Meine Schwiegertochter
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