Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
kerzengerade aufgesetzt. Er starrte sie gebannt an, die Lippen fest zusammengepresst, ein dunkles Licht in den harten Augen. »Vater«, stieß er hervor.
Tessa brachte keine Antwort zustande. Sie konnte nicht antworten. Die Stimme, die in ihr anschwoll, war nicht ihre; sie gehörte Shade: »Mein Klockwerk-Prinz.«
Das Licht in Mortmains Augen leuchtete auf. Er beugte sich vor und schob den Stapel Papiere begierig über den Tisch zu Tessa. »Vater«, sagte er, »ich brauche deine Hilfe. Und zwar sofort. Ich habe eine Pyxis. Ich habe die Mittel, um sie zu öffnen, und ich habe die Automaten. Jetzt brauche ich nur noch die Beschwörungsformel, die du geschaffen hast, die Verquickungsformel. Bitte schreibe sie für mich auf, dann habe ich auch das letzte Teil des Puzzles.«
Der Anflug von Panik in Tessas Innerem wuchs und verbreitete sich in ihrem ganzen Körper. Das hier war keine rührende Wiedervereinigung von Vater und Sohn. Das hier war etwas, das Mortmain wollte, brauchte … und zwar nicht von seinem Vater, sondern von dem Hexenmeister John Shade. Tessa versuchte, sich zu wehren, versuchte, sich der Verwandlung zu entziehen, doch diese hielt sie mit eisernem Griff gefangen. Seit der Ausbildung bei den Dunklen Schwestern war sie noch jedes Mal in der Lage gewesen, sich wieder zurückzuverwandeln; aber obwohl John Shade tot war, konnte Tessa seine unnachgiebige Willenskraft spüren, die sie zu einer Gefangenen in seinem Körper machte und sie zwang, diesen Körper zu nutzen. Entsetzt sah Tessa, wie ihre Hand nach dem Federhalter griff, die Spitze in die Tinte tauchte und zu schreiben begann.
Die Feder kratzte über das Papier. Mortmain beugte sich vor; sein Atem ging schneller, als würde er laufen. Hinter ihm knisterte das Feuer hoch und orange im Kamin. »Das ist es«, murmelte er und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. »Ja, das könnte funktionieren. Endlich! Das ist genau das, was noch gefehlt hat.«
Tessa starrte auf den Tisch. Die Tinte, die aus dem Federhalter über das Papier strömte, erschien ihr wie ein unverständliches Kauderwelsch: Zahlen, Zeichen und Symbole, die ihr nichts sagten. Ein weiteres Mal versuchte sie, sich zu widersetzen, erzeugte aber nur einen dicken Tintenfleck. Der Federhalter setzte erneut an – Tinte, Papier, noch mehr Gekritzel. Die Hand mit dem Schreibgerät zitterte unkontrolliert, doch die Symbole quollen ungehindert aus der Spitze. Tessa biss sich auf die Lippe: fest, dann noch fester. Sie schmeckte Blut in ihrem Mund. Ein paar Blutstropfen landeten auf dem Papier. Doch der Federhalter schrieb ungerührt weiter, verschmierte scharlachrote Flüssigkeit über die Oberfläche.
»Das ist es!«, rief Mortmain. »Vater …«
Im nächsten Moment brach die Spitze des Federhalters mit einem lauten Knall, der wie ein Gewehrschuss von den Wänden der Höhle widerhallte. Das zerbrochene Schreibgerät rutschte Tessa aus der Hand und sie sank erschöpft gegen die Stuhllehne. Die grüne Farbe verblasste in ihrer Haut, ihr Körper schrumpfte, ihre eigenen braunen Haare fielen ihr über die Schultern. Sie konnte noch immer den Geschmack von Blut in ihrem Mund wahrnehmen. »Nein«, keuchte sie und streckte die Hände nach den Papierbögen aus. »Nein …« Aber ihre Bewegungen wurden durch den Schmerz und die Nachwirkungen der Verwandlung behindert.
Und Mortmain war schneller. Lachend riss er den Stapel Papiere unter Tessas Hand hervor und erhob sich. »Sehr schön«, sagte er. »Vielen Dank, mein kleines Hexenmädchen. Das war alles, was ich brauchte. Automaten, begleitet Miss Gray zurück auf ihr Zimmer.«
Eine Metallhand krallte sich von hinten in Tessas Morgenmantel und zog sie auf die Beine. Ihr war schwindlig – die Welt um sie herum schien sich zu drehen. Sie sah, wie Mortmain sich vorbeugte und die goldene Uhr an sich nahm, die auf den Tisch gefallen war.
Ein wildes, boshaftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er die Uhr betrachtete. »Du wirst schon bald sehr stolz auf mich sein, Vater«, sagte er. »Daran besteht kein Zweifel.«
Tessa, die den Anblick nicht länger ertragen konnte, schloss die Augen. Was habe ich getan?, dachte sie, als der Automat sie aus dem Raum zu schieben begann. Mein Gott, was habe ich getan?
17
D ER ADLIG NUR , DER BRAV UND GUT
Potz Narretei! Mich dünkt, es sei
Der adlig nur, der brav und gut.
Ein Herz ist mehr als Kronen wert
Und Treue mehr als Normannsblut.
A LFRED L ORD T ENNYSON , »L ADY C LARA V ERE DE V ERE
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