Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
er, wie Charlotte die Arme ausstreckte, ihn zu sich hinunterzog, wie eine Mutter fest umarmte und ihn hielt, während er an ihrer Schulter schluchzte, mit Tränen in der Kehle, die aber nicht fließen wollten. »Wo ist mein Vater?«, wiederholte er erstickt. Und als Charlotte ihn daraufhin noch fester in die Arme nahm, spürte er ihre Stärke, ihre unerschütterliche Kraft, die ihn aufrecht hielt – und er fragte sich, wie er diese kleine Frau jemals für schwach hatte halten können.
Adressat: Charlotte Branwell
Absender: Konsul Josiah Wayland
Meine liebe Mrs Branwell,
ein Informant, dessen Namen Sie zu diesem Zeitpunkt nicht preisgeben können? Ich wage ja eher zu behaupten, dass es gar keinen Informanten gibt und dass Sie all das nur erfunden haben – ein Trick, um mich von der Rechtmäßigkeit Ihrer Forderungen zu überzeugen.
Ich ersuche Sie eindringlich, Ihre Imitation eines dummen Papageis einzustellen, der einfältig wieder und wieder zum Marsch gen Cadair Idris aufruft. Zeigen Sie mir stattdessen lieber, dass Sie Ihre Pflichten als Leiterin des Londoner Instituts ernst nehmen. Andernfalls muss ich davon ausgehen, dass Sie nicht in der Lage sind, Ihren Aufgaben nachzukommen, und werde mich genötigt sehen, Sie umgehend von Ihrem Posten abzuberufen.
Als Zeichen Ihrer Fügsamkeit verlange ich von Ihnen, dass Sie diese Angelegenheit in Zukunft nicht mehr ansprechen und auch keine Mitglieder der Brigade bitten werden, sich Ihrem fruchtlosen Unterfangen anzuschließen. Sollte mir zu Ohren kommen, dass Sie mit irgendeinem anderen Nephilim über dieses Thema gesprochen haben, werde ich dies als gravierende Befehlsverweigerung bewerten und demgemäß handeln.
Josiah Wayland, Konsul der Nephilim
Sophie hatte Charlotte den Brief an den Frühstückstisch gebracht. Mit ihrem Buttermesser löste Charlotte das Siegel (ein Hufeisen mit dem Buchstaben C darunter, das auf Waylands Position als Konsul verwies) und riss das Schreiben in ihrem Eifer beinahe vollständig entzwei.
Die anderen Anwesenden beobachteten sie gespannt – Henry mit liebevoller Sorge in den Augen –, während Charlotte die Zeilen überflog und sich langsam zwei dunkelrote Flecken auf ihren Wangen ausbreiteten. Im Raum herrschte atemlose Stille und Cecily dachte unwillkürlich, wie ungewöhnlich der Anblick einer Gruppe von Männern war, die an den Lippen einer Frau hingen. Allerdings war die Gruppe kleiner als noch vor Kurzem: Wills und Jems Abwesenheit erschien ihr wie eine neue Verletzung, eine klare helle Schnittwunde, die sich noch nicht mit Blut gefüllt hatte. Der Schock schien fast noch zu frisch, um Schmerzen zu verursachen.
»Was ist los?«, fragte Henry begierig. »Charlotte, meine Liebe …«
Charlotte las die Worte des Konsuls mit emotionsloser, monotoner Stimme vor, ähnlich einem Metronom. Dann schob sie das Schreiben von sich, starrte aber weiter darauf. »Ich kann einfach nicht begreifen …«, setzte sie an. »Ich verstehe das nicht.«
Henry war unter seinen Sommersprossen vor Zorn rot angelaufen. »Wie kann Wayland es wagen, dir so etwas zu schreiben?!«, stieß er mit ungekannter Grimmigkeit hervor. »Welch eine Unverschämtheit, dir auf diese Weise zu antworten und deine berechtigten Sorgen einfach beiseitezufegen …«
»Vielleicht hat er recht. Vielleicht hat er aber auch den Verstand verloren. Vielleicht sind wir ja alle verrückt geworden«, sagte Charlotte.
»Nein, das sind wir nicht!«, rief Cecily aufgebracht und bemerkte, wie Gabriel ihr einen Seitenblick zuwarf. Seine Miene ließ sich nur schwer deuten. Seit dem Betreten des Speisezimmers hatte er nur bleich dagesessen, kaum geredet oder gegessen und stattdessen auf das Tischtuch gestarrt, als fände er dort die Antworten auf alle Fragen des Universums. »Der Magister ist am Cadair Idris. Da bin ich mir absolut sicher«, fügte Cecily hinzu.
Gideon runzelte die Stirn. »Ich glaube Ihnen«, versicherte er, »so wie wir alle hier. Aber ohne die Unterstützung des Konsuls kann die Angelegenheit der Kongregation nicht vorgelegt werden – und ohne Kongregationsbeschluss werden wir keine Hilfe erhalten.«
»Das Portal ist beinahe fertig«, sagte Henry. »Wenn es funktioniert, sind wir in der Lage, so viele Schattenjäger wie erforderlich zum Cadair Idris zu transportieren – und zwar innerhalb weniger Sekunden.«
»Aber es wird keine Schattenjäger geben, die transportiert werden können«, wandte Charlotte ein. »Hier steht es, schwarz auf weiß: Der Konsul
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