Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
musterte Mortmains Gesicht eindringlich. War da vielleicht ein Zögern zu erkennen? Bebten seine Lippen und konnte sie die Anspannung des Zweifels in der Haltung seiner Schultern sehen?
Ein Lächeln umspielte Mortmains Mundwinkel. »Dann glauben Sie also, dass ich ein besserer Mensch werden kann? Und wenn ich das täte, was Sie sagen…wenn ich mich zurückhielte, dann wollen Sie mich glauben machen, Sie würden aus Bewunderung bei mir bleiben und nicht zu den Schattenjägern zurückkehren?«
»Aber ja, Mr Mortmain. Das schwöre ich.« Tessa kämpfte gegen den bitteren Geschmack in ihrer Kehle an. Wenn sie bei Mortmain bleiben musste, um damit Will und Jem zu retten und Charlotte und Henry und Sophie, dann würde sie das auf sich nehmen. »Ich bin davon überzeugt, dass Sie Ihr besseres Ich wiederfinden können. Ich glaube, dass wir alle das können.«
Seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Es ist bereits spät am Nachmittag, Miss Gray«, sagte er. »Ich wollte Sie nicht früher wecken. Begleiten Sie mich bitte auf einen kleinen Ausflug. Kommen Sie und sehen Sie selbst, was wir an diesem Tag geschaffen haben – denn es gibt da etwas, das ich Ihnen zeigen möchte.«
Ein eisiger Finger strich Tessas Rücken hinab und sie richtete sich auf. »Und das wäre?«
Das Lächeln erfasste nun sein ganzes Gesicht. »Das, worauf ich immer gewartet habe.«
Adressat: Konsul Josiah Wayland
Absender: Inquisitor Victor Whitelaw
Josiah, vergib mir meine Formlosigkeit, aber ich schreibe in größter Eile. Ich bin mir sicher, dass dies nicht der einzige Brief bleiben wird, den Du in dieser Angelegenheit erhältst; vermutlich ist er nicht einmal der erste. Ich selbst habe inzwischen eine ganze Anzahl von Schreiben empfangen und jedes befasst sich mit derselben Frage, die auch mich bewegt: Sind Charlotte Branwells Informationen korrekt? Denn falls dies so ist, erscheint es mir mehr als wahrscheinlich, dass der Magister sich tatsächlich in Wales aufhält. Ich weiß, dass Du an William Herondales Aufrichtigkeit zweifelst, aber wir haben beide seinen Vater gekannt: ein Mann von hitzigem Temperament, der sich zu sehr von seinen Leidenschaften beherrschen lässt, aber eine durch und durch ehrliche Haut. Daher glaube ich nicht, dass der junge Herondale ein Lügner ist.
Ungeachtet dessen hat Charlottes Nachricht innerhalb der Nephilimgemeinschaft großen Aufruhr ausgelöst. Ich bestehe darauf, dass wir sofort eine Sitzung der Kongregation anberaumen. Andernfalls wird das Vertrauen der Schattenjäger in ihren Konsul und ihren Inquisitor unwiederbringlich zerrüttet werden. Ich überlasse es Dir, die Versammlung einzuberufen – aber das ist keine Bitte. Wenn die Einladung zur Vollversammlung nicht umgehend erfolgt, werde ich meinen Posten aufkündigen und die Gründe dafür jedermann kundtun.
Victor Whitelaw
Will wurde durch laute Schreie geweckt.
Sein jahrelanges Training machte sich sofort bemerkbar: Noch bevor er richtig wach war, kauerte er bereits kampfbereit auf dem Boden neben dem Bett. Rasch schaute er sich um, doch das kleine Zimmer im Dorfgasthof war leer und die Möbel – ein schmales Bett und ein schlichter Holztisch, im dämmrigen Licht kaum zu erkennen – standen unverändert an Ort und Stelle.
Die Schreie ertönten erneut, dieses Mal noch lauter. Sie drangen durch das Fenster herein. Will richtete sich auf, durchquerte geräuschlos das Zimmer und zog vorsichtig den Vorhang zur Seite, um einen Blick nach draußen zu werfen.
Er konnte sich kaum daran erinnern, wie er Balios, der erschöpft hinter ihm hergetrottet war, zum Dorf geführt hatte. Ein kleiner walisischer Weiler, wie so viele andere kleine Ortschaften in Wales, unauffällig und nichtssagend. Der Gasthof war mühelos zu finden gewesen. Will hatte sein Pferd in die Obhut des Stalljungen gegeben und ihm aufgetragen, Balios sorgfältig trocken zu reiben und ihm einen warmen Kleiebrei zu bringen, um seine Lebensgeister zu wecken. Die Tatsache, dass Will Walisisch sprach, hatte dafür gesorgt, dass der Wirt ihn weniger misstrauisch musterte und ihn rasch in ein Einzelzimmer führte, wo Will sich vollständig bekleidet auf das Bett hatte fallen lassen und sofort in einen traumlosen Schlaf versunken war.
Inzwischen war der Mond aufgegangen. Seine Position am dunklen Himmel deutete darauf hin, dass die Nacht noch nicht weit fortgeschritten war. Ein grauer Schleier schien über dem Dorf zu hängen. Im ersten Augenblick hielt Will die Schwaden für
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