Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
zerschneiden und Drähte zu durchtrennen.«
Mortmain zuckte die Achseln. »Die Nephilim sind es nicht gewohnt, gegen Kreaturen zu kämpfen, denen ihre Runenwaffen nichts anhaben können. Das wird sie langsamer machen. Davon abgesehen, habe ich eine unendliche Anzahl dieser Automaten geschaffen. Die Schattenjäger werden das Gefühl haben, mit bloßen Händen eine Flut zurückdrängen zu müssen.« Versonnen neigte er den Kopf zur Seite. »Erkennen Sie nun die wahre Größe meiner Erfindung? In jedem Fall muss ich Ihnen danken, Miss Gray – für das letzte Teil dieses Puzzles. Ich hatte wahrlich gehofft, Sie würden vielleicht sogar … Bewunderung für das empfinden, was wir gemeinsam erschaffen haben.«
Bewunderung? Tessa suchte in Mortmains Augen nach einem Anzeichen von Spott, doch darin spiegelte sich eine ernst gemeinte Frage – eine Mischung aus Neugier und seiner üblichen Eiseskälte. Sie überlegte, wie lange es wohl her sein mochte, dass er von einem anderen menschlichen Wesen Lob erhalten hatte, und holte tief Luft. »Ganz offensichtlich sind Sie ein großer Erfinder«, sagte sie.
Mortmain lächelte erfreut.
Tessa spürte den Blick des mechanischen Dämons auf sich, seine Anspannung und Kampfbereitschaft, doch Mortmains Anwesenheit war sie sich noch deutlicher bewusst. Ihr Herz pochte wie wild in ihrer Brust. Genau wie in ihrem Traum schien sie am Rand eines Abgrunds zu stehen. Es war gewagt, auf diese Weise mit Mortmain zu sprechen, und sie würde entweder fliegen oder fallen, aber sie musste dieses Risiko eingehen. »Ich verstehe nun, warum Sie mich hierher gebracht haben«, sagte sie. »Nämlich nicht nur zur Entschlüsselung der Geheimnisse Ihres Vaters.«
Zorn sprach aus Mortmains Augen, aber auch eine gewisse Verwirrung: Tessa verhielt sich nicht so, wie er es von ihr erwartete. »Was meinen Sie damit?«
»Sie sind einsam«, stellte Tessa fest. »Sie haben sich mit Kreaturen umgeben, die nicht real sind, nicht leben. Doch erst in den Augen anderer sehen wir unsere eigene Seele. Wann hat man Ihnen zum letzten Male gezeigt, dass Sie eine Seele haben?«
Mortmain kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Ich hatte einst eine Seele. Doch sie verbrannte bei der Verfolgung dessen, dem ich mein ganzes Leben gewidmet habe: dem Streben nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.«
»Sie sollten nicht nach Vergeltung trachten und das Gerechtigkeit nennen.«
Der Dämon lachte leise, allerdings nicht verächtlich; eher so, als würde er die Streiche eines kleinen Kätzchens beobachten. »Sie gestatten ihr, auf diese Weise mit Ihnen zu sprechen, Gebieter?«, bemerkte er. »Wenn Sie wollen, kann ich ihr die Zunge abschneiden, sie für immer zum Schweigen bringen.«
»Es würde nichts nutzen, sie zu verstümmeln. Sie besitzt Kräfte, von denen du nichts ahnst«, erwiderte Mortmain, den Blick noch immer auf Tessa geheftet. »In China gibt es eine alte Redensart, mit der Sie Ihr teurer Verlobter ja vielleicht vertraut gemacht hat: ›Ein Mann soll mit dem Mörder seines Vaters nicht unter demselben Himmel leben.‹ Ich werde alle Schattenjäger unter diesem Himmel vernichten, sie werden nicht länger auf Erden wandeln. Versuchen Sie erst gar nicht, an mein besseres Ich zu appellieren, Tessa, denn ich besitze keines.«
Tessa musste unwillkürlich an Eine Geschichte aus zwei Städten denken und an Lucie Manettes Appelle an Sydney Cartons besseres Ich. Lange Zeit hatte sie Will mit Sydney verglichen, verzehrt von Sünde und Hoffnungslosigkeit, wider besseres Wissen, wider seinen eigenen Wunsch. Aber Will war ein guter Mensch, viel besser als Carton es je gewesen war. Und Mortmain konnte man kaum noch als Menschen bezeichnen. Deswegen appellierte Tessa auch nicht an sein besseres Ich, sondern an seine Eitelkeit: Alle Menschen hielten sich letztendlich für gut, niemand sah sich selbst als einen Schurken. Sie holte tief Luft und erwiderte: »Gewiss trifft das nicht zu; gewiss können Sie sich wieder als guter und wertvoller Mensch erweisen. Sie haben erreicht, was Sie erreichen wollten: Sie haben diesen … diesen Höllengeräten Leben und Intelligenz eingehaucht. Sie haben etwas erschaffen, das die Nephilim vernichten könnte. Ihr Leben lang haben Sie nach Gerechtigkeit getrachtet, weil Sie davon überzeugt waren, die Schattenjäger seien verdorben und skrupellos. Aber wenn Sie jetzt einhalten, erringen Sie damit den größten aller Siege: Sie zeigen der ganzen Welt, dass Sie besser sind als die Nephilim.« Tessa
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