Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
hinweg sah Will, wie der Automat in der roten Uniformjacke auf ihn zumarschierte, ein Langschwert in der linken Hand – die zwar aus Metall bestand, sich aber wie eine menschliche Hand geschmeidig um das Heft schloss.
»Nephilim«, stieß die Kreatur hervor und blieb nur einen Schritt vor Will stehen. »Dich und deinesgleichen haben wir hier nicht erwartet.«
»Offensichtlich«, bestätigte Will. Dann trat er einen Schritt vor und rammte dem Automaten die Seraphklinge in die Brust.
Ein leises, brutzelndes Zischen ertönte, wie von bratendem Frühstücksspeck in einer Pfanne. Während der Automat verwirrt an sich herabschaute, zerbröselte Nakir zu Asche, sodass Will nur noch ein angesengtes Heft in der Hand hielt.
Der Automat lachte leise und blickte zu Will hoch. Seine Augen sprühten vor Leben und Intelligenz – und Will erkannte mit einem beklommenen Gefühl im Magen, dass er etwas gegenüberstand, das er noch nie zuvor gesehen hatte: nicht nur eine Kreatur, die eine Seraphklinge zu Asche verwandeln konnte, sondern auch eine Art Maschine, die genügend logisches und strategisches Denkvermögen besaß, um ein ganzes Dorf niederzubrennen, sodass alle Bewohner auf ihrer Flucht getötet werden konnten.
»Und jetzt dämmert es dir, Nephilim«, höhnte der Dämon, denn darum handelte es sich offensichtlich. »All die Jahre habt ihr uns mit euren runengezeichneten Waffen aus dieser Welt vertrieben. Doch nun besitzen wir Körper, gegen die eure Waffen nichts ausrichten – und diese Welt wird bald uns allein gehören.«
Will hielt den Atem an, als der Dämon sein Langschwert anhob. Er wich einen Schritt zurück … Die Klinge schwang hoch und sauste herab…und Will duckte sich, als im selben Moment etwas an ihm vorbeipreschte, etwas Großes und Schwarzes, das sich aufbäumte und ausschlug und den Automaten mit den Hufen zur Seite trat.
Balios.
Blind streckte Will die Arme aus und ergriff Balios’ Mähne. Der Dämon sprang aus dem Schlamm auf und stürmte mit blitzendem Schwert auf Will zu, während Balios losgaloppierte und Will sich hochzog und auf den Rücken des Pferdes schwang. Gemeinsam preschten sie die Straße hinunter, Will tief über Balios’ Hals gebeugt. Der Wind riss an seinen Haaren und trocknete die feuchten Spuren auf seinen Wangen – Will konnte nicht sagen, ob es sich dabei um Blut oder Tränen handelte.
Tessa saß auf dem Boden ihrer Höhle in Mortmains Festung und starrte benommen ins Feuer.
Das Licht der Flammen tanzte über ihre Hände und ihr blaues Kleid – beides mit Blut befleckt. Sie wusste nicht, wie das passiert war; die Haut an ihrem Handgelenk war wund und Tessa erinnerte sich vage an einen Automaten, der sie festgehalten und ihre Haut mit seinen scharfen Metallfingern aufgeschürft hatte, als sie sich aus der Umklammerung zu befreien versuchte.
Dagegen konnte sie die Erinnerung an das, was Mortmain ihr gezeigt hatte, nicht abschütteln: die Zerstörung des Dorfes in dem kleinen Tal. Mehrere Automaten hatten sie mit verbundenen Augen aus dem Berg hinausgeführt und dann kurzerhand auf einen Felsvorsprung mit direkter Sicht auf den Weiler gestoßen.
»Sehen Sie hin«, hatte Mortmain selbstgefällig gesagt, ohne sie jedoch anzublicken. »Schauen Sie genau zu, Miss Gray, und dann können wir gern weiter von Wiedergutmachung und Erlösung sprechen.«
Tessa hatte reglos dagestanden, im eisernen Griff eines Automaten, der sie von hinten festhielt und ihr eine Hand auf den Mund presste. Gleichzeitig hatte Mortmain ihr all die Dinge zugeraunt, die er ihr antun würde, falls sie es wagte, den Blick von dem Dorf abzuwenden. Hilflos hatte sie zugesehen, wie die Automaten in den Ort marschiert waren und unschuldige Männer, Frauen und Kinder mitten auf der Straße ermordet hatten. Der Mond war mit rötlichem Schein aufgegangen, als die Klockwerk-Armee systematisch Haus für Haus in Brand gesteckt und die fliehenden Bewohner niedergemetzelt hatte.
Und Mortmain hatte gelacht.
»Jetzt begreifen Sie endlich«, hatte er gesagt. »Diese Kreaturen, diese Kreationen, sind fähig, logisch und strategisch zu denken. Genau wie Menschen. Und dennoch sind sie unzerstörbar. Da, sehen Sie selbst: dieser Narr dort drüben mit dem Gewehr.«
Tessa hatte nicht zuschauen wollen, doch ihr war keine andere Wahl geblieben. Mit trockenen, geröteten Augen und zusammengebissenen Zähnen hatte sie zugesehen, wie eine Gestalt in der Ferne sein Gewehr angehoben und geschossen hatte, um sich zu verteidigen.
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